Der Verstoß gegen eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung kann schadensersatzpflichtig machen! – Zum Urteil des BGH vom 17.10.2019 (Az. III ZR 42/19)

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Ratgeber Internationales Zivilprozessrecht: Der Verstoß gegen eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung kann schadensersatzpflichtig machen! – Zum Urteil des BGH vom 17.10.2019 (Az. III ZR 42/19)

Problembeschreibung

Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, gerade wenn ihnen eine ausschließliche Geltung zukommen soll, haben in aller Regel nicht zuletzt den Zweck, die von der Vereinbarung begünstigte Partei vor oft sehr erheblichen Kosten eines Rechtsstreits in der Fremde zu schützen.

 

Leider ist es aber keine Seltenheit, dass der andere Vertragspartner im Streitfall von der Gerichtsstandsvereinbarung plötzlich nichts mehr wissen will. Hintergrund eines solchen an sich unredlichen Vorgehens ist – auf der Hand liegend – nicht zuletzt das Erpressungspotential, das sich mit einem solchen Vorgehen verbindet. Denn die sich – unter Verstoß gegen die Gerichtsstandsvereinbarung – einer ausländischen Klage ausgesetzt sehende Partei ist zur Vermeidung von Rechtsnachteilen regelmäßig gezwungen, im Ausland über Anwälte tätig zu werden. Dies wiederum ist oftmals sehr teuer, wobei hierbei die USA das wohl prominenteste Beispiel darstellen.

 

Der BGH ist deutschen Betroffenen in einem sehr bedeutsamen, vielen noch unbekannten Urteil „zur Seite gesprungen“ und hat zu deren Gunsten geurteilt, dass der Verstoß eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung in der Regel zum Schadensersatz verpflichtet. Das Urteil betrifft einen deutsch-amerikanischen Fall, erscheint nach Auffassung des Autors jedoch auf andere Drittlandskonstellationen übertragbar.

Litigation between the countries of the USA and Israel for the gold riches of their countries

BGH-Urteil vom 17.10.2019; Az. III ZR 42/19; BGHZ 223, 269

Mit Urteil vom 17.10.2019 hat der BGH entschieden, dass ein US-Kläger, der unter Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung in den USA eine Klage erhebt, der anderen Partei zum Schadensersatz hinsichtlich der durch diese Klage entstehenden Kosten verpflichtet ist (vgl. BGH-Urteil vom 17.10.2019; Az. III ZR 42/19; BGHZ 223, 269). Die einprägsamen Leitsätze des Urteils lauten:

  1. Die Vereinbarung eines inländischen Gerichtsstands kann eine Verpflichtung begründen, Klagen nur an diesem Gerichtsstand zu erheben.
  2. Verletzt eine Vertragspartei schuldhaft diese Verpflichtung durch die Klage vor einem US-amerikanischen Gericht, das die Klage wegen fehlender Zuständigkeit abweist und entsprechend US-amerikanischem Prozessrecht („American rule of costs“) eine Kostenerstattung nicht anordnet, ist sie gemäß § 280 Abs. 1 BGB verpflichtet, der anderen Partei die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung zu ersetzen.

Die Lektüre der Entscheidungsgründe legt nahe, dass gemäß BGH in so gut wie jede internationale Gerichtsstandsvereinbarung – über die rein prozessuale Vereinbarung eines Gerichtsstandes hinaus – auch die materielle Pflicht hineinzulesen ist, sich an diese Vereinbarung auch zu halten:

Ausgangslage

Bisher wurde Gerichtsstandsvereinbarungen von Juristen nur eine prozessuale Wirkung zugeschrieben. Demnach beschränkte sich ihre Bedeutung auf die Begründung und/oder den Ausschluss einer bestimmten Gerichtszuständigkeit.

Eine darüberhinausgehende verpflichtende Wirkung wurde hingegen abgelehnt, sodass Klagen, die gegen eine solche Vereinbarung verstießen, keinen Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB auslösen konnten. Besonders problematisch war dies in Fällen, in denen unter Verstoß gegen die Gerichtsstandsvereinbarung Klagen in Ländern ohne prozessualen Kostenerstattungsanspruch erhoben wurden. So ist beispielsweise gemäß der „American Rule of Costs“ in den USA die Erstattung von Anwaltskosten der obsiegenden Partei ausgeschlossen. Mit Blick auf die in den USA bekanntermaßen besonders horrenden Anwaltshonorare ist dies für den Betroffenen besonders bitter.

Von dieser Sichtweise ist der BGH nun – sehr begrüßenswert – abgekommen.

Keine grundsätzlichen Bedenken gegen materiell-rechtlichen Bestandteil

Schon nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei einer Gerichtsstandsvereinbarung um einen materiell-rechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen.

Den Parteien ist es, wie der BGH zutreffend ausführt, im Rahmen der Vertragsfreiheit ohne weiteres möglich, in einem Vertrag neben rein prozessualen Verpflichtungen ergänzend auch materielle Pflichten zu vereinbaren.

Hierzu stellt der BGH zunächst fest, dass eine solche Annahme mit Blick auf das nationale und auch europäische Zivilprozessrecht keinen Bedenken begegnen würde, da der materiell-rechtliche Teil der Vereinbarung außerhalb des Anwendungsbereichs der Zivilprozessordnung und der EuGVVO liege.

Dies gelte in Drittlandsfällen ohne weiteres auch mit Blick auf die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs zu sog. „anti-suit-injunctions“, da dann der innerhalb der EU geltende Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens nicht berührt sei. Im Übrigen seien so oder so dann keine Wertungswidersprüche erkennbar, wenn das derogierte Gericht, also das unter Verstoß gegen die Gerichtsstandsvereinbarung angerufene Gericht, in Kenntnis aller relevanten Umstände seine Zuständigkeit verneint hat.

In Gerichtsstandsvereinbarungen kann ein schuldrechtlich verpflichtender Inhalt hineingelesen werden

Ein schuldrechtlicher Inhalt kann gemäß der sehr überzeugenden Ausführungen des BGH in eine Gerichtsstandsvereinbarung im Wege der Auslegung hineingelesen werden.

Hierzu stellt der BGH zunächst fest, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung „nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise von einem redlichen und verständigen Vertragspartner“ dahin zu verstehen ist, dass damit die gemäß § 280 Abs. 1 BGB sanktionierte schuldrechtliche Verpflichtung eingegangen worden ist, nicht an einem anderen Gerichtsstand als dem Vereinbarten zu klagen.

Zitierenswert ist folgende Passage des Urteils, in der sich der BGH mit der typischen Interessenlage der Parteien auseinandersetzt (Rn. 37 des Urteils):

„Die Vereinbarung des auf den Vertrag anwendbaren Rechts sowie eines Gerichtsstands bringt das Interesse beider Parteien zum Ausdruck, Rechtsstreitigkeiten sowohl in materiell-rechtlicher als auch in prozessualer Hinsicht planbar zu machen. Mit ihr wollen gerade die im internationalen Rechtsverkehr tätigen Vertragsparteien Rechtssicherheit schaffen und – auch wirtschaftliche – Prozessrisiken berechenbar machen (Eichel aaO S. 224). Sie bezwecken mit der Festlegung auf einen konkreten Gerichtsort die Auswahl eines bestimmten Gerichtsstands und wollen insbesondere ein nachträgliches forum shopping durch eine Vertragspartei verhindern.“

Schutzbedürftigkeit der betroffenen Partei

Diese typische und dabei schützenswerte Interessenlage beinhalt auch, unnötige Kosten für die Anrufung eines unzuständigen Gerichts zu vermeiden. Der  Schutzzweck einer solchen Vereinbarung kann, wenn er durch die Anrufung eines Gerichts unter Verstoß gegen die Vereinbarung konterkariert wird, nur dadurch verwirklicht werden, dass der dadurch belasteten Partei ein Anspruch auf Kostenerstattung zugestanden wird.

Es bestehe nach den Zwecken der oben genannten Prinzipien kein Grund dafür, eine Partei, die unter Verstoß gegen die Vereinbarung eines inländischen Gerichtsstands ein ausländisches Gericht anruft, vor den materiell-rechtlichen Kostenfolgen zu schützen, die sie bei einem reinen Inlandssachverhalt – unabhängig von der Rechtswidrigkeit ihres Vorgehens – im Fall ihres Unterliegens nach dem Prozessrecht zu tragen hätte.

Die dargestellte Schutzbedürftigkeit ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen werde auch durch Art. 31 Abs. 2 und 3 der EuGVVO bestätigt, wobei der Anwendungsbereich dieser Regelung nur begrenzt und ihr Schutz hinsichtlich der Kostenfolgen der Anrufung eines unzuständigen Gerichts auch unzureichend ist.

Fazit des BGH

Nach allem sieht der BGH in einer Klage, die vom vereinbarten internationalen Gerichtsstand abweicht, einen zum Schadensersatz verpflichtenden Pflichtverstoß; dies jedenfalls dann, wenn es sich um einen Drittlandsfall (Nicht-EU) handelt und das Drittland keinen ausreichenden Erstattungsanspruch vorsieht.

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Bewertung

Das BGH-Urteil hat Bedeutung nicht nur bei Klagen in US-Fällen.

Zumindest bei Verträgen mit Partnern aus Nicht-EU-Staaten empfiehlt sich im Falle einer Verletzung der getroffenen, ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung die Prüfung des vom BGH bejahten Schadensersatzanspruchs hinsichtlich der Kosten, die eine Rechtsverteidigung im Drittland ausgelöst hat und deren Erstattung vom dortigen Prozessrecht nicht abgedeckt ist.

Aber auch bei reinen EU-Sachverhalten erscheint nach Auffassung des Autors auf Basis des oben besprochenen BGH-Urteils ein materiell-rechtlicher Schadensersatzanspruch möglich.

Eine unter Verstoß gegen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung erhobene Klage zwingt die von der Gerichtsstandsvereinbarung begünstigte Partei vertragswidrig dazu, sich in einem fremden Rechtskreis zu – jedenfalls aus deutscher Sicht – oft deutlich höheren Kosten mit dem Vertragspartner auseinanderzusetzen.  Oftmals wird in diesen Fällen der Kostenerstattungsanspruch, den das vertragswidrig angerufene Gericht zuspricht, nicht ausreichen, um die für die Rechtsverteidigung „in der Fremde“ erforderlich gewordenen Kosten zu decken. Wie vom BGH selbst zutreffend bemerkt, sieht auch der EU-Gesetzgeber eine besondere Schutzbedürftigkeit der von einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung begünstigten Partei.  Die hierauf zurückgehende Regelung des Art.  31 Abs. 2 der EUGVVO reicht aber allein nicht aus, da sie eine unzulässig erhobene Klage zwar „stoppen“ hilft, aber eben nicht gewährleistet, dass die betroffene Partei tatsächlich alle Kosten erstattet erhält.

Zu den Möglichkeiten im Übrigen, sich gegen Klagen, die unter Verstoß gegen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung erhoben werden, zu Wehr zu setzen, lesen Sie hier!

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