Schätzung fiktiver Mängelbeseitigungskosten
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Problemstellung
Bereits seit einiger Zeit ist durch eine Grundsatzentscheidung des BGH geklärt, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, vgl. BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az. V ZR 33/19.
Für die Praxis ist hieran anknüpfend von besonderer Relevanz, wie das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Gericht die Höhe solcher fiktiven Schadenskosten zu bestimmen hat. Ausgangspunkt hierfür bildet § 287 Abs. 1 ZPO, der wie folgt lautet:
„Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. (…)“
Ungeklärt war bisher, nach welchen Grundsätzen das Gericht den vorzitierten § 287 Abs. 1 ZPO im konkreten Fall anzuwenden hat.
In einer neueren Entscheidung vom 11. März 2022 (Az. V ZR 35/21) hat der BGH den Instanzgerichten wertvolle Kriterien an die Hand gegeben.
Das Urteil
Seiner Entscheidung vom 11. März 2022 (Az. V ZR 35/2) lag verkürzt folgender Sachverhalt zugrunde:
Streitgegenstand bildete der Kaufvertrag über ein Grundstück. Die Verkäufer hatten gegenüber den Käufern verschwiegen, dass die Außenabdichtung des Kellers unvollständig ist, und verlangten entsprechend Schadensersatz in Form fiktiver Mängelbeseitigungskosten.
Das Erstgericht hatte die Beklagten in Höhe fiktiver Mängelbeseitigungskosten von 144.800 Euro verurteilt. Das Berufungsgericht hat diesen Betrag auf 97.556 Euro herabgesetzt und die Revision mit Blick auf die Anspruchshöhe zugelassen.
Grundlage der vom Erst- sowie auch dem Berufungsgericht vorgenommenen Schätzung bildete ein Sachverständigengutachten, wonach zwei Mängelbeseitigungsvarianten in Betracht kamen. Nach der kostengünstigeren Variante A wäre die Unvollständigkeit der Abdichtung nicht vollständig zu beseitigen, nach der teureren Variante B mit Kosten von 138.920 Euro wäre Abdichtung vollständig möglich. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass sich die Kläger mit Variante A nicht zufriedengeben müssten, allerdings sei ihren zu Lasten die vom Sachverständigen genannte Schätzungenauigkeit von +/- 30% zu berücksichtigen, da den Klägern nur das zuerkannt werden könne, was an Mängelbeseitigungskosten „sicher anfallen würde“. Unsicherheiten bei der Ermittlung der Mangelbeseitigungskosten dürften nicht zulasten des Schädigers gehen.
Der BGH hat in seiner Entscheidung zunächst die Annahme des Berufungsgerichts bestätigt, dass sich die Anspruchsteller nicht mit der kostengünstigsten Variante zufriedengeben müssten. Gleiches gilt für den abgelehnten Abzug „neu für alt“.
Im Übrigen aber hat er die Annahmen des Berufungsgerichts zur Bestimmung der konkreten Schadenshöhe als rechtlich nicht haltbar zurückgewiesen. Der BGH hat ausgeführt:
„Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann.
Mit der Begründung des Berufungsgerichts können bei der Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs die durch den Sachverständigen ermittelten Kosten für die notwendigen Sanierungsarbeiten allerdings nicht um 30% gekürzt werden.
Den zur Mängelbeseitigung erforderlichen Betrag hat das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu ermitteln.
(…)
Das Berufungsgericht überspannt das Maß notwendiger Überzeugung im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO und verkennt damit Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung.
Steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Grunde nach fest und bedarf es lediglich der Ausfüllung zur Höhe, kommt dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute. Im Unterschied zu den strengen Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO reicht bei der Entscheidung über die Schadenshöhe eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung aus; dabei soll die Schätzung möglichst nahe an die Wirklichkeit heranführen.
Das hat das Berufungsgericht verkannt. Es meint, es dürfe nur der Betrag ausgeurteilt werden, der im Rahmen der vorzunehmenden Schätzung für die Mängelbeseitigung sicher anfalle, so dass bei einer Schätzungsbandbreite regelmäßig nur der untere Betrag als Schaden ausgeurteilt werden könne. Zu Unrecht fordert es damit für die von ihm vorzunehmende Schadensbemessung eine sogar im Rahmen des § 286 ZPO nicht erforderliche absolute Gewissheit. Zwar dürfen auch bei einer Schätzung gemäß § 287 ZPO Zweifel an der Höhe der zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten im Grundsatz nicht zulasten des Schädigers gehen (vgl. BGH, Urt. v. 10.04.2003 – VII ZR 251/02 – NJW-RR 2003, 878, 879; OLG Celle, Urt. v. 17.01.2013 – 16 U 94/11 – BauR 2014, 134, 139). Es liegt aber in der Natur der Sache, dass bei der fiktiven Berechnung der für die Schadensbeseitigung erforderlichen Sanierungskosten eine (gewisse) Unsicherheit verbleibt, ob der objektiv zur Herstellung erforderliche (ex ante zu bemessende) Betrag demjenigen entspricht, der bei einer tatsächlichen Durchführung der Reparatur angefallen wäre oder anfallen würde. Wird der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten bemessen, hat das Gericht daher eine Schadensermittlung nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmen und insoweit zu prüfen, in welcher Höhe ein Schaden überwiegend wahrscheinlich ist. Das gilt auch und gerade dann, wenn in einem Sachverständigengutachten eine Schätzungsbandbreite genannt wird. (…)“
Als Konsequenz vorzitierter Mängel hat der BGH den Fall zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen
Fazit
Mit dieser Entscheidung hat der BGH zunächst bestätigt, dass für die Ermittlung der fiktiven Schadenshöhe § 287 ZPO maßgeblich ist. Für die richterliche Überzeugungsbildung genügt hierbei eine
„erhebliche, auf eine gesicherte Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit.“
Ein am Ende verbleibender Rest Unsicherheit liegt in der Natur der erleichterten Schadensermittlung nach § 287 ZPO. Hieraus folgt für die Instanzgerichte, dass es gerade nicht zulässig ist, als Schaden den vom Sachverständigen benannten Minimalbetrag anzunehmen. Das Gericht hat sich richtigerweise an den höchstwahrscheinlich zur Mängelbeseitigung erforderlichen Betrag heranzutasten. Für Anspruchssteller bedeutet dies, dass es ratsam sein kann, zur Bestimmung der „wahrscheinlichen Kosten“ einen eignen Sachverständigen unterstützend hinzuzuziehen.
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