LEGAL+ NEWS
Ein richtungsweisendes neues Urteil des BGH (Az. VIII ZR 187/17) beseitigt einen grundlegenden Irrtum betreffend die Haftung beim Unternehmenskauf:
Das Urteil in Kürze (BGH-Urteil vom 26. September 2018, Az. VIII ZR 187/17)
Der Anteilskauf ist Rechtskauf, auf den die Regeln über die Sachmängelhaftung grundsätzlich keine Anwendung finden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn Kaufgegenstand das ganze Unternehmen ist bzw. im Falle des Anteilskaufs (fast) alle Anteile sind. Entgegen eines Jahrzehnte lang bestehenden Irrtums der Rechtsliteratur sowie der Instanzgerichte reicht es hingegen nicht aus, wenn der Erwerber in Folge der Transaktion alle bzw. fast aller Anteile eines Unternehmens hält.
Der Fall
Mit Urteil vom 26. September 2018 hat der VIII. Zivilsenat des BGH einen Jahrzehnte alten Irrtum der Rechtspraxis beerdigt. Gegenstand des Urteils ist folgender, stark verkürzt dargestellter Fall, den ich seit erster Instanz persönlich auf Seiten der Klägerin begleite:
A und B waren im Rahmen eines Joint Ventures zu gleichen Teilen Anteilseigner einer GmbH. A erwarb nach der Entscheidung über die Beendigung des Joint Ventures alle Anteile an der GmbH von B mit der Folge, dass A seit der Transaktion alle Anteile allein hält. Im Kaufvertrag vereinbarten die Parteien einen umfassenden Gewährleistungsausschluss. Nach Durchführung der Transaktion stellte sich heraus, dass die GmbH bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses insolvent und somit nicht mehr fähig war, am Markt werbend zu agieren. Daraufhin forderte A von B unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage den gezahlten Kaufpreis zurück, weil – im Grundsatz unstreitig – beide Seiten davon ausgingen, dass die GmbH solvent ist und der Kaufpreis auf Basis einer gemeinsam abgestimmten Wertermittlung bestimmt worden sei. B wendet ein, dass wegen Vorrangigkeit der Sachmängelhaftung eine Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen sei. Eine Haftung wegen eines Sachmangels sei wiederum ausgeschlossen, weil ein umfassender Gewährleistungsausschluss vereinbart sei. Eine Beschaffenheitsvereinbarung sei nicht getroffen worden.
Der Irrtum der Instanzgerichte (OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.08.2017, Az. 13 U 44/15)
Beide Instanzgerichte haben die entsprechende Klage von A mit der Begründung abgewiesen, dass die Regeln über die Sachmängelgewährleistung Anwendung finden würden. Infolgedessen sei wegen des vereinbarten Gewährleistungsausschlusses kein Anspruch gegeben. Die Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage hätten neben dem Sachmängelgewährleistungsrecht keinen Raum.
Die Anwendbarkeit des Sachmängelgewährleistungsrechts hatte das OLG Karlsruhe (Urteil vom 02.08.2017, Az. 13 U 44/15) in dem Glauben, sich diesbezüglich auf eine geklärte Rechtslage zu stützen, wie folgt begründet:
Nach allgemeiner Meinung (Übersicht zum Meinungsstand bei Beisel/Klumpp, Der Unternehmenskauf, 7. Auflage 2016, § 4 Rn. 10) ist der Kauf von Gesellschaftsanteilen (,,share deal“) auch nach neuem Recht Rechtskauf im Sinne des § 453 Abs. 1 Var. 1 BGB und wird insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung weiterhin jedenfalls dann wie ein Unternehmenskauf im Wege eines „asset deals“ (Veräußerung eines Inbegriffs von Rechts- und Sachgesamtheiten einschließlich unkörperlicher Werte wie etwa eines „good will“, siehe dazu BGH, Urteil vom 02.03.1988 – VIII ZR 63/87, juris Rn. 16) behandelt, wenn sich der Kaufvertrag auf den Erwerb sämtlicher Anteile der unternehmenstragenden Gesellschaft erstreckt (Staudinger/Beckmann, BGB, Neubearbeitung 2013, § 453 Rn. 90) oder die beim Verkäufer oder Dritten verbleibenden Anteile so geringfügig sind, dass sie die Verfügungsbefugnis des Erwerbers über das Unternehmen nicht entscheidend beeinträchtigen, sofern der Wille der Parteien auf den Kauf des Unternehmens als Ganzes gerichtet ist (BeckOK BGB/Faust BGB § 453 Rn. 32 m. z. w. N. zum Meinungsstand).
(…)
Der hier erfolgte Kauf von 50 % der Geschäftsanteile an der Zielgesellschaft im Rahmen eines sogenannten share deals ist auch unzweifelhaft als Kauf des ganzen Unternehmens einzuordnen, da die Klägerin mit dem Kauf bestimmungsgemäß sämtliche Geschäftsanteile der Zielgesellschaft auf sich vereinte und als alleinige Geschäftsinhaberin nunmehr die Geschicke der Zielgesellschaft allein bestimmte. Daher ist auf diesen Unternehmenskauf auch nach neuem Schuldrecht das Sachmängelgewährleistungsrecht auf Mängel des Unternehmens anwendbar.
Der große Irrtum des OLG liegt in Folgendem:
Für die Anwendbarkeit der Regeln über die Sachmängelgewährleistung reicht es entgegen dem OLG nicht aus, dass der Erwerber mit dem Kauf bestimmungsgemäß sämtliche Geschäftsanteile der Zielgesellschaft auf sich vereint.
Die Klarstellung des BGH in der mündlichen Verhandlung am 26. September 2018
Die Vorsitzende des XIII. Zivilsenats des BGH erläuterte in der mündlichen Verhandlung sinngemäß:
„Da sei der BGH in der Vergangenheit wohl missverstanden worden.“
Wie der Senat dann im Rahmen des weiteren Verlaufs der mündlichen Verhandlung klarstellte, ist eine Anwendung des Sachmängelgewährleistungsrechts ausschließlich dann gerechtfertigt, wenn der Kaufgegenstand selbst das Unternehmen im Ganzen – oder zumindest fast Ganzen – abbildet. Entsprechend könne von einem Sachkauf unter Geltung des Sachmängelrechts keine Rede sein, wenn Kaufgegenstand – wie im vorliegenden Fall – lediglich 50 % der Anteile an einem Unternehmen bilden. Es reiche – entgegen einem seit Jahrzehnten verbreiteten Irrtums – nicht aus, wenn der Käufer als Ergebnis der Transaktion alle Anteile an einem Unternehmen hält.
Folge für den gegenständlichen Fall sei insbesondere, dass die Regeln über den Wegfall bzw. die Störung der Geschäftsgrundlage nicht verdrängt seien. Hierfür habe ich von erster Instanz an gekämpft…
Der BGH hat aus den genannten Gründen die Entscheidung des OLG Karlsruhe aufgehoben und zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen.
Urteilsgründe noch ausstehend
Ein Update dieses Beitrags wird folgen, sobald die Urteilsgründe des BGH vorliegen.
AKTUELLE BEITRÄGE
Anfechtungsmöglichkeiten eines gerichtlich geschlossenen Vergleichs
Zivilprozesse werden vielfach im Wege eines zwischen den Parteien im Laufe des Verfahrens geschlossenen Vergleichs beendet. Häufig geschieht dies mit Hilfe des Gerichts. Die Praxis zeigt, dass ein solcher Vergleichsschluss, trotz Beteiligung des Gerichts, durchaus Tücken in sich birgt. Nachfolgend möchte ich einen Überblick verschaffen.
Zur Befangenheit von Richtern im Zivilprozess: Wenn Richter Schriftsätze einer Partei nicht lesen, kann dies einen Befangenheitsantrag rechtfertigen!
Im Anschluss an meinen Überblicks-Beitrag zum Befangenheitsantrag nach § 42 ZPO möchte ich über ein interessantes Urteil des OLG Karlsruhe berichten. Demnach kann es die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn ein Richter die von einer Partei eingereichten Schriftsätze nicht liest. Im betreffenden Fall hatte ein Richter einen gegen ihn gerichteten Befangenheitsantrag übersehen, da er den diesen enthaltenen Schriftsatz ungelesen an die Gegenpartei zur Stellungnahme weitergeleitet hatte. Dies verstößt gegen die sog. Wartepflicht nach § 47 Abs. 1 ZPO, wonach ab Stellung eines Befangenheitsantrags bis zu dessen Erledigung nur „unaufschiebbare Amtshandlungen“ zulässig sind.
BGH zu den Rechtsfolgen einer Beweisvereitelung
In Rechtstreitigkeiten kommt es immer wieder vor, dass eine Partei die Beweisführung des Gegners erschwert. In diesen Fällen kommt dann die Frage auf, ob und gegebenenfalls mit welcher Rechtsfolge von einer Beweisvereitelung auszugehen ist.
KONTAKT
+49 (40) 57199 74 80
+49 (170) 1203 74 0
Neuer Wall 61 D-20354 Hamburg
kontakt@legal-plus.eu
Profitieren Sie von meinem aktiven Netzwerk!
Ich freue mich auf unsere Vernetzung.