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Wer schon einmal gezwungen war, zum Zwecke der Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weiß, dass Recht haben und Recht bekommen unterschiedliche Dinge sind. Nicht selten, auch diese Erfahrung dürfte (leider) vielen Betroffenen bekannt sein, wurde das gerichtliche Verfahren von dem Eindruck begleitet, dass der für die Entscheidung zuständige Richter nicht neutral und damit möglicherweise befangen war. Geht diese Parteilichkeit zu eigenen Lasten, stellt sich die Frage, ob für solche Fälle Handlungsmöglichkeiten bestehen. Mit dieser Frage beschäftigen sich die nachfolgenden Ausführungen.
1. Neutralität des Gerichts ist wesentliches rechtsstaatliches Prinzip
In unserem Rechtsstaat stellt die Neutralität des Gerichts – selbstverständlich – ein äußerst hohes Gut dar. Unser Grundgesetz hat daher in dessen Artikel 97 Absatz 1 festgeschrieben:
Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.
Vorgenannte Vorschrift ist eng verknüpft mit einer weiteren Regelung unseres Grundgesetzes, nämlich Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG:
Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
Die vorzitierte Bestimmung mag dem juristischen Laien dem Wortlaut nach schwer zugänglich sein. Es geht hierbei um einen sehr wesentlichen Grundsatz zur Gewährleistung der Neutralität des Gerichts: Wenn Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG besagt, dass jeder Anspruch auf seinen Gesetzlichen Richter hat, so soll hiermit die menschliche Einflussnahme auf die Frage, welcher Richter letztlich einen Rechtsfall zur Entscheidung auf den Tisch bekommt, ausgeschlossen werden. Gewährleistet wird dies in der Praxis durch im Vorhinein festgelegte sachliche Kriterien, die drüber entscheiden, welcher Fall bei welchem Gericht/Richter landet. Das Bundesverfassungsgericht hat folgende Maßstäbe bestimmt (Beschluss vom 8. 2. 1967 – 2 BvR 235/64):
Aus diesem Sinn des Art. 101 Abs. 1 GG ergibt sich, daß von Verfassungs wegen allgemeine Regelungen darüber bestehen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welcher Richter zur Entscheidung des Einzelfalles berufen sind. Die Entscheidungsbefugnis des Richters im konkreten Fall muß sich möglichst eindeutig aus generellen Vorschriften, nämlich aus der Zuständigkeitsregelung der Prozeßgesetze und dem Geschäftsverteilungsplan des zuständigen Gerichts, ableiten lassen (BVerfGE 17, 294 [298 f.] = NJW 64, 1020; BVerfGE 18, 344 [351 f.] = NJW 65, 1219).
2. Gewährleistung der Neutralität im Einzelfall
Die vorbeschriebenen grundgesetzlich verankerten Regelungen können allein nicht gewährleisten, dass im Einzelfall der für die Entscheidung zuständige Richter tatsächlich neutral ist. Ergänzend hat das Bundesverfassungsgericht in dem bereits oben zitierten Beschluss bestimmt, dass für die richterliche Neutralität
(…) wesentlich ist, „daß sie von einem nichtbeteiligten Dritten ausgeübt wird” (BVerfGE 3, 377 [381] = NJW 54, 833; BVerfGE 4, 331 [346] = NJW 56, 137; BVerfGE 14, 56 [69] = NJW 62, 1611; BVerfGE 18, 241 [255] = NJW65, 343).
Erläuternd hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
Die richterliche Tätigkeit erfordert daher Neutralität und Distanz des Richters gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Daraus ergibt sich aber nicht nur die Forderung, daß – wie das BVerfG in den angeführten Entscheidungen
ausgesprochen hat – eine zu enge personelle Verbindung der Gerichte mit den Stellen, über deren Anträge und Akte sie zu befinden haben, verfassungswidrig ist. Nach diesem Grundsatz muß auch gewährleistet sein, daß der Rechtsuchende nicht vor einem Richter steht, der – etwa wegen naher Verwandtschaft, Freundschaft oder auch
Verfeindung mit einer Partei – die gebotene Neutralität und Distanz vermissen läßt.
3. Die Befangenheitsgründe als Grundlage für einen Befangenheitsantrag
Nach den oben zitierten Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts „muß auch gewährleistet sein, daß der Rechtsuchende nicht vor einem Richter steht, der – etwa wegen naher Verwandtschaft, Freundschaft oder auch Verfeindung mit einer Partei – die gebotene Neutralität und Distanz vermissen läßt.“
Wenig aussagekräftig will § 42 ZPO zur Gewährleistung des Vorstehenden Rechtsschutz wie folgt bieten:
(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.
3.1 Ausgangspunkt: Die gesetzlichen Ausschlussgründe nach § 41 ZPO
In § 41 ZPO sind gesetzlich bestimmte Sachverhalte normiert, in denen ein Richter bereits qua Gesetz als befangen gilt, nämlich:
„1.in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht;
2.in Sachen seines Ehegatten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.in Sachen seines Lebenspartners, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.in Sachen einer Person, mit der er in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war;
4.in Sachen, in denen er als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist;
5.in Sachen, in denen er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist;
6.in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt;
7.in Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren, wenn er in dem beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird;
8.in Sachen, in denen er an einem Mediationsverfahren oder einem anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung mitgewirkt hat.“
3.2 Der Ablehnungsgrund „Besorgnis der Befangenheit“
Die „Besorgnis der Befangenheit“ vervollständigt sozusagen die vorgenannten gesetzlichen Befangenheitsgründe.
Aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 42 Absatz 2 ZPO: (…) wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.) folgt, dass dieser Befangenheitsgrund nicht erfordert, dass ein Richter tatsächlich befangen ist. Es genügt, wenn „objektive Gründe“ die Annahme rechtfertigen, dass ein Richter befangen ist.
Anders ausgedrückt:
Objektiv begründetes Misstrauen führt zur Besorgnis der Befangenheit.
Hinsichtlich der erforderlichen objektiven Umstände zur Begründung des Misstrauens gegen einen Richter können die Ausschließungsgründe des § 41 ZPO (s.o.) weiterhelfen. Je näher nämlich ein Sachverhalt einem der Ausschließungssachverhalte dran ist, desto näher liegt die Annahme, dass eine begründete Besorgnis hinsichtlich der Befangenheit eines Richters gegeben ist. Hierzu ein Beispiel:
Nach § 41 Nr. 2/2a ist ein Richter in Angelegenheiten seines Ehe- bzw. Lebenspartners ausgeschlossen. Wenn es sich nun um die Angelegenheit einer Person handelt, mit welcher der Richter jahrelang in einer häuslichen Gemeinschaft, z.B. in der Studienzeit im Rahmen einer WG, gelebt hatte, so dürfte unter Verweis auf die Nähe zu eben diesen § 41 Nr. 2/2a ZPO die Besorgnis der Befangenheit gut begründet werden können.
In Fällen, in den an § 41 ZPO nicht angeknüpft werden kann, wird es schwieriger:
Die Faustformel lautet gemäß dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG NJW 2000, 2808):
Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters (…) setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.
In Anknüpfung an die vorgenannte Faustformel bieten folgende an das Verhalten des Richters anknüpfende Fallgruppen typischerweise Ansätze für eine Besorgnis der Befangenheit:
- Art der VerfahrensführungAus der Art der Verfahrensführung kann sich die Befangenheit ergeben, insbesondere dann, wenn sie auf willkürliche Benachteiligung oder Bevorzugung einer Partei schließen lässt. Beispiele hierfür sind die mangelnde Bereitschaft, mündliches oder schriftliches Parteivorbringen zur Kenntnis zu nehmen, ein offensichtlich überhöhter Kostenvorschuss für einen Sachverständigen, unangemessener Vergleichsdruck, die Ablehnung eines begründeten Verlegungsantrags der Partei ohne oder mit unsachlicher Begründung (OLG Köln NJW-RR 97, 823; OLG München NJW-RR 02, 862), längere Untätigkeit des Richters oder ungebührliche Verfahrensverzögerung ohne sachlichen Grund (OLG Brandenburg FamRZ 01, 552; BauR 12, 1150; OLGR Frankfurt 09, 115; zweifelhaft, aA OLG Hamm Beschl v 4.1.11 – 1 W 86/10; LSG NRW Beschl v 19.10.11 – L 11 SF 297/11 AB).
- Hilfestellungen an eine ParteiHilfestellungen, die einer Partei z.B. einen neuen Klagegrund empfehlen, zur Anschlussberufung raten, den Weg der Abtretung aufzeigen, um Probleme der Klagebefugnis zu umgehen, oder die „Flucht in die Säumnis“ nahe legen, um Nachteile aus der Versäumung der vom Richter selbst gesetzten Fristen zu vermeiden, bieten Anlass zur Sorge der Befangenheit.Gleiches gilt für einen Hinweis auf mögliche Einreden oder Gegenrechte, insbesondere die Verjährungseinrede (BGH NJW 2004, 164).
- UnsachlichkeitEin unsachliches Verhalten dürfte stets für eine Befangenheit sprechen, weil ein solches praktisch kann nie durch prozessuale Aufgaben gerechtfertigt sein kann. Beispiele sind Beleidigende Äußerungen oder ein „den Vogel zeigen“.
3.3 Kein Befangenheitsgrund: Richterliche Hinweise (!)
In der Regel keinen Befangenheitsgrund begründen richterliche Hinweise nach § 139 ZPO.
Durch die ZPO-Reform ist die richterliche Aufklärungs-, Hinweis- u Fürsorgepflicht wesentlich verstärkt worden. Das Gesetz verpflichtet das Gericht seitdem ausdrücklich zur Führung eines Rechtsgesprächs. Dementsprechend sind rechtliche Meinungsäußerungen kein tauglicher Ansatzpunkt, z.B. wenn sich der Richter im Rahmen der Einführung in den Sach- und Streitstand oder bei Vergleichsgesprächen (vorläufig) zu den Erfolgsaussichten der Klage äußert. Daher kann z.B. auch die Anregung des Richters die Klage bzw. das eingelegte Rechtsmittel mangels Erfolgsaussicht zurückzunehmen, keine Befangenheit begründen. Die Grenze bildet der Übergang zu einer echten Hilfestellung (s.o.), deshalb dürften außerhalb von Vergleichsverhandlungen Hinweise auf Rechtspositionen, für die sich im Klagevortrag der Partei keine Hinweise finden, nicht von der materiellen Prozessleitung (Hinweispflicht) des § 139 ZPO gedeckt sei
4. Das Verfahren, wenn Zweifel an der Neutralität des Richters bestehen
Überblicksmäßig läuft ein Befangenheitsantrag verfahrwsnmäßig wie folgt ab:
4.1 Ablehnungsgesuch
Ist eine Partei der Auffassung, dass ein am Verfahren beteiligter Richter im vorbeschriebenen Sinne befangen ist, muss die Partei ein entsprechendes Ablehnungsgesuch an das zur Entscheidung berufene Gericht richten, das dann ohne den betroffenen Richter über das Gesuch entscheidet ( § 44 ZPO).
Das Ablehnungsgesuch ist grundsätzlich formfrei, kann also auch in mündlicher Form durch Erklärung zu Protokoll eingereicht werden. In zeitlicher Hinsicht ist es grundsätzlich ab Anhängigkeit bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig. Allerdings ergibt sich aus § 43 ZPO faktisch eine deutliche Einschränkung:
43 ZPO
Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.
Dies bedeutet im Ergebnis, dass ein Ablehnungsgesuch sofort nach Kenntniserlangung hinsichtlich eines Ablehnungsgrundes gestellt werden muss, weil das Gesetz jedwede weitere „Einlassung“ der betroffenen Partei im Rahmen des fortlaufenden Verfahrens als Akzeptanz des die Befangenheit auslösenden Umstandes deutet.
Das in zulässiger Form gestellte Ablehnungsgesuch ist begründet, wenn ein Ausschlussgrund (§ 41 ZPO) oder eine Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO) vorliegen.
4.2 Glaubhaftmachung der Ablehnungsgründe
Die Ablehnungsgründe sind glaubhaft zu machen. Als Mittel der Glaubhaftmachung dienen die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters sowie die eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten der ablehnenden Partei.
Wird ein Ablehnungsgesuch erst im Laufe eines Verfahrens gestellt, so ist neben dem Ablehnungsgrund auch glaubhaft zu machen, dass der Ablehnungsgrund bzw. die diesbezügliche Kenntnis erst später entstanden sind.
Das Verfahren der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch wird durch § 45 ZPO geregelt. Hiernach erfolgt die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch durch das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, jedoch ohne dessen Mitwirkung. An seine Stelle tritt sein Vertreter, wie er sich aus dem Geschäftsverteilungsplan ergibt.
Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer – hierfür im Geschäftsverteilungsplan vorgesehener – Richter des Amtsgerichts.
4.3 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch und Rechtsmittel
Die Entscheidung ergeht gem. § 46 ZPO durch Beschluss, gegen den das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eröffnet ist, sofern das Ablehnungsgesuch für unzulässig oder unbegründet erklärt wird. Gegen Entscheidungen des OLG und LG im Berufungs- und Beschwerdeverfahren ist die Beschwerde nur dann eröffnet, wenn sie zugelassen wird.
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