Zur Hinweispflicht des Gerichts im Zivilprozess
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Zur Hinweispflicht des Gerichts im Zivilprozess – Hinweiserteilung erst in der Verhandlung ist zu spät!
Am Beispiel der Hinweispflicht des Gerichts zeigt sich, dass die Gerichte ihren aus der Zivilprozessordnung (ZPO) resultierenden Pflichten den Parteien gegenüber oftmals nur unzureichend nachkommen.
So ist es zum Beispiel nicht selten, dass Gerichte bis zum ersten Verhandlungstermin – bis dahin können im schlimmsten Fall Jahre vergehen – schlichtweg schweigen. Die Parteien wissen so über lange Zeit nicht, wo sie stehen und erwarten mit großer Spannung den Verhandlungstermin, von dem sie sich endlich Erkenntnisse zur Sichtweise des Gerichts erhoffen. Erst während des Gerichtstermins erteilen Richter dann oft sog. gerichtliche Hinweise nach § 139 Abs. 2 u. 3 ZPO.
Gerichtliche Hinweise erst in der Gerichtsverhandlung sind nicht rechtzeitig!
Dieses Vorgehen ist rechtswidrig und kann ein Berufungsgrund sein! Gerichte müssen – dies besagt ausdrücklich § 139 Abs. 4 ZPO – Hinweise so früh wie möglich erteilen. Anderenfalls wurde der Hinweispflicht des Gerichts nicht Genüge getan.
Es ist daher begrüßenswert, dass der BGH auf diesen Umstand in seiner Revisionsrechtsprechung immer wieder (siehe auch diesen Beitrag) deutlich hinweist. Mal wieder mit Beschluss vom 21.01.2020 (Az. VI ZR 346/18) hat der BGH diesen Hinweis an die Instanzgerichte wiederholt und ausgeführt (Anmerkung: der zugrundeliegende Fall betraf einen verspäteten Hinweis des Berufungsgerichts):
„(…) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags einer Partei haben. Lässt ein Gericht den Vortrag einer Partei unberücksichtigt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze findet, verletzt es damit deren Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. nur Senatsbeschluss vom 2. Oktober 2018 – VI ZR 213/17 , NJW 2019, 1082 Rn. 6; BVerfGE 69, 141, 143 f. [BVerfG 30.01.1985 – 1 BvR 393/84] ; jeweils mwN). Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts findet im Gesetz keine Stütze mehr.
Der Bundesgerichtshof entnimmt Art. 103 Abs. 1 GG in ständiger Rechtsprechung, dass eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen darf, vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält; der Hinweis muss dabei grundsätzlich so rechtzeitig erteilt werden, dass der Berufungsbeklagte noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagieren kann (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 2019 – V ZR 4/19 Rn. 7, juris; vom 11. April 2018 – VII ZR 177/17 , NJW 2018, 2202 Rn. 8; vom 21. Januar 2016 – V ZR 183/15 Rn. 5, juris; vom 4. Juli 2013 – V ZR 151/12 , NJW-RR 2014, 177 Rn. 8; ferner Senatsbeschluss vom 25. Mai 2018 – VI ZR 370/17, VersR 2018, 1001 [BGH 29.05.2018 – VI ZR 370/17] Rn. 15; jeweils mwN). Erteilt das Berufungsgericht den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, so muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Ist offensichtlich, das sich die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht, wenn es nicht ins schriftliche Verfahren übergeht, die mündliche Verhandlung auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (BGH, Beschlüsse vom 11. April 2018 – VII ZR 177/17 , NJW 2018, 2202 Rn. 8; vom 27. September 2013 – V ZR 43/12 Rn. 12 ff., juris; vom 4. Juli 2013 – VII ZR 192/11 , NJW-RR 2013, 1358 Rn. 7).
Gegen diese Pflichten hat das Berufungsgericht verstoßen. (…)“
Bewertung
Nach Auffassung des Verfassers hat diese Rechtsprechung auch für die Hinweispflichten in erster Instanz Geltung. Dies folgt schon aus § 139 Abs. 4 ZPO, wonach Hinweise so früh wie möglich zu erteilen sind. Verstößt das Gericht hiergegen, indem es mit seinen Hinweisen bis zum Verhandlungstermin wartet, muss es späteren Vortrag der Partei auch ohne Beantragung eines auf die Hinweise bezogenen Schriftsatznachlasses berücksichtigen, um nicht gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör zu verstoßen.
AKTUELLE BEITRÄGE
Der Vorvertrag
In der Geschäftswelt sind laufend Entscheidungen zu treffen. Viele solcher Entscheidungen bestehen darin, sich in einem Projekt für einen bestimmten Partner entschieden zu haben, mit dem dann ein entsprechender Vertrag abzuschließen ist. Das häufige Problem ist dann: Es fehlt die Zeit bzw. auch einfach nur an bestimmten Klärungen tatsächlicher und/oder rechtlicher Art, den Vertrag „ adhoc“ schließen zu können. Dann kommt der Vorvertrag ins Spiel, durch den die Parteien sofort eine Bindung herbeiführen können, obwohl noch offene, klärungsbedürftige Punkte existieren.
Fertigstellungsgrad des Werkes
In den das Recht zur Verweigerung der Abnahme betreffenden Normen (§ 640 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 12 Abs. 3 VOB/B) heißt es, dass die Abnahme des Werkes wegen unwesentlicher Mängel nicht verweigert werden darf. Es findet sich dort keinerlei Aussage zum erforderlichen Fertigstellungsgrad des Werkes als Abnahmevoraussetzung.
Gerade im regelmäßig sehr komplexen Anlagenbau ist aber die Frage, welchen Grad der Fertigstellung das Werk erreicht haben muss, damit es als abnahmereif angesehen werden kann, sehr bedeutsam.
Wesentlicher Mangel im Anlagenbau
Die Beantwortung der Frage, ob ein wesentlicher Mangel vorliegt, bereitet gerade im oft sehr komplexen Anlagenbau große Schwierigkeiten. Dabei stellt das Fehlen wesentlicher Mängel die entscheidende Voraussetzung für die Abnahme dar. Letztere hat erhebliche rechtliche und praktische Bedeutung: So knüpft hieran regelmäßig der Beginn der Gewährleistungsfristen an. Zudem hängt von der Abnahme in aller Regel die Fälligkeit eines erheblichen Teils der vereinbarten Vergütung ab.
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