EUGH-Urteil „LKW Walter“
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Problemstellung
Die im Ausgangspunkt sehr zu begrüßende Möglichkeit, auch im grenzüberscheitenden EU-Geschäftsverkehr eigene Rechte möglichst einfach und schnell durchsetzen zu können, birgt einige Tücken. Die Erfahrungen des Verfassers zeigen, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Falle des Eingangs rechtlich relevanter Post aus dem Ausland oftmals überfordert sind. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die aus dem Ausland eingehenden gerichtlichen Schriftstücke nicht selten den europarechtlichen Anforderungen nicht entsprechen. So sieht Art. 8 der Europäische Zustellungsverordnung 2007 (Verordnung Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten; kurz: EUZVO 2007) vor, dass jedem Schriftstück, das Gerichte innerhalb der EU zustellen wollen, ein im Anhang der Verordnung vorgegebenes Formblatt beizufügen ist, aus dem sich die wichtigen Rechte des Empfängers ergeben. Ohne dieses Formblatt ist die Zustellung unwirksam, Fristen beginnen nicht zu laufen. Weiterhin sieht Art. 8 der EUZVO vor, dass dem Empfänger das Recht zu steht, die Annahme zu verweigern oder das Schriftstück binnen einer Woche zurückzusenden, wenn er es nicht verstehen kann. Dieser Fall ist sehr praxisrelevant, weil es eher Regel als Ausnahme ist, dass die Schriftstücke ohne Übersetzung in die Sprache des Empfängers auf den Weg gebracht werden.
Mit letzterem Schutzrecht des Empfängers – der einwöchigen Überlegungsfrist – hat sich jüngst der EUGH in seinem Urteil vom 7.7.2022 (C-7/21; „LKW Walter“) mit Blick auf die bedeutsame Frage beschäftigt, wie nationale Rechtsmittelfristen und die Frist zur Annahmeverweigerung (Überlegungsfrist) zusammenspielen.
Diesem Urteil des EUGH kommt große Bedeutung zu, da darin einmal mehr deutlich gemacht wird, dass die europäischen Vorschriften zum Schutz des Empfängers bei grenzüberschreitenden Zustellungen streng auszulegen sind und nationale Vorschriften, die diesen Schutz mindern, rechtswidrig und daher unbeachtlich sind.
Das EUGH-Urteil „LKW-Walter“
Kurz gefasst lag dem Urteil des EUGH vom 7.7.2022 (C-7/21) der Sachverhalt zugrunde, dass in einer österreichisch-slowenischen Konstellation die slowenischen Gerichte einen aus Österreich erhobenen Einspruch gegen einen slowenischen Zahlungstitel als nicht fristgerecht erachtet hatten. Hierbei hatten die slowenischen Gerichte für den Beginn der Einspruchsfrist den Tag der Zustellung in Österreich zugrunde gelegt und somit die Wochenfrist des Art. 8 EUZVO 2007 bei Berechnung der sehr kurzen 8-tägigen Einspruchsfrist außer Acht gelassen. Gerechnet ab Zustellung war dann auch der durch österreichische Anwälte eingelegte Einspruch verfristet. Durch alle Instanzen hindurch hielten die slowenischen Gerichte an ihrer Berechnungsweise fest. Erst im Rahmen eines Anwaltshaftungsverfahrens kam es zur Vorlage des Falles beim EUGH.
Zu der letztlich allein relevanten Vorlagefrage, ob die Wochenfrist des Art. 8 EUZVO 2007 nationale Rechtsmittelfristen hemmt, hat der EUGH insbesondere die folgenden Feststellungen getroffen:
„35 Diese Möglichkeit, die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, stellt ein Recht des Empfängers dieses Schriftstücks dar (Urteil vom 6. September 2018, Catlin Europe, C 21/17, EU:C:2018:675, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Empfänger kann dieses Recht bei der Zustellung des Schriftstücks oder binnen einer Woche ausüben, sofern er das Schriftstück innerhalb dieser Frist zurücksendet.“
„36 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ebenfalls, dass dieses Recht, die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, es ermöglicht, die Verteidigungsrechte des Empfängers dieses Schriftstücks unter Beachtung der in Art. 47 Abs. 2 der Charta verankerten Anforderungen an ein faires Verfahren zu schützen. Denn auch wenn die Verordnung Nr. 1393/2007 in erster Linie darauf abzielt, die Wirksamkeit und die Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren zu verbessern und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, dürfen diese Ziele nicht dadurch erreicht werden, dass in irgendeiner Weise Abstriche bei der effektiven Wahrung der Verteidigungsrechte der Empfänger der betreffenden Schriftstücke gemacht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2018, Catlin Europe, C 21/17, EU:C:2018:675, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).“
„41 Die praktische Wirksamkeit des Rechts, die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern, setzt zum einen voraus, dass der Empfänger über das Bestehen dieses Rechts belehrt worden ist, und zum anderen, dass er über die volle Frist von einer Woche verfügt, um zu beurteilen, ob er das Schriftstück annehmen oder seine Annahme verweigern soll, und um es im Fall der Verweigerung zurückzusenden.“
„45 Das mit Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 verfolgte Ziel, jede Diskriminierung zwischen diesen beiden Gruppen von Empfängern zu vermeiden, verlangt aber, dass die Empfänger, die das Schriftstück in einer anderen als der in dieser Bestimmung genannten Sprache erhalten, ihr Recht, die Annahme dieses Schriftstücks zu verweigern, ausüben können, ohne einen verfahrensrechtlichen Nachteil in Anbetracht ihrer grenzüberschreitenden Situation zu erleiden.“
„46 Folglich darf, wenn das zuzustellende Schriftstück nicht in einer der in dieser Bestimmung genannten Sprachen abgefasst oder in eine solche übersetzt ist, die Frist von einer Woche, die in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 vorgesehen ist, nicht gleichzeitig mit der Frist zu laufen beginnen, die für die Einlegung eines Rechtsmittels nach der Regelung desjenigen Mitgliedstaats gilt, zu dem die Behörde gehört, die das Schriftstück ausgestellt hat, da andernfalls die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 47 der Charta beeinträchtigt würde. Die Rechtsmittelfrist muss vielmehr grundsätzlich nach Ablauf der in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1393/2007 vorgesehenen Frist von einer Woche zu laufen beginnen.“
Fazit
Empfänger gerichtlicher Schriftstücke aus dem EU-Ausland sollten genau darauf achten, dass das ausländische Gericht die Rechte des Empfängers gemäß der EUZVO streng beachtet. Verstöße führen im Zweifel zur Unwirksamkeit der Zustellung. Fristen nach nationalem Recht des Ausgangsstaates können nicht zu laufen beginnen, bevor nicht eine wirksame Zustellung an den Empfänger erfolgt ist. Dies schließt ein, dass dem Empfänger die volle einwöchige Überlegungsrist des Art. 8 EUZVO 2007 [Anmerkung: Die neue EUZVO 2020 sieht in Art. 12 mittlerweile eine zweiwöchige Frist vor] zur Verfügung stand.
AKTUELLE BEITRÄGE
Klageabweisung als „derzeit unbegründet“
Gerade in baurechtlichen Streitigkeiten geht es vielfach um die Fälligkeit von Vergütungsansprüchen, z.B. weil die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung fraglich ist. In diesen Fällen sind dann auch Urteile nicht selten, in denen eine Klageabweisung „als derzeit unbegründet“ erfolgt.
Der BGH hat jüngst mit detaillierter Begründung festgestellt, dass in solchen Fällen die Rechtskraft des abweisenden Urteils auch die Urteilsgründe umfasst, soweit darin die übrigen – also die derzeit nicht fehlenden – Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind.
Guide to International Civil Procedure: Recognition and enforcement of foreign judgments in Germany
Once a judgment has been successfully obtained against a German debtor abroad (in a third country), the creditor is faced with the important practical question of how to actually get his money.
If the German debtor does not pay voluntarily, only the enforcement of the judgment will help. However, since in most cases the German debtor only has assets in Germany that could be enforced, the foreign judgment must be enforced in Germany. This requires that the foreign judgment has first been declared enforceable by a German court. This declaration of enforceability is the subject of separate court proceedings against the debtor in Germany, at the end of which, if successful, an enforcement order will be issued.
The following article deals with the content of these proceedings.
Ratgeber Berufungsrecht – Bedeutung des Inhalts der Berufungsbegründung für den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts
Die Auffassung, dass der Inhalt der Berufungsbegründung den Überprüfungsrahmen des Berufungsgerichts festlegt, ist weit verbreitet. Nach dieser Auffassung muss die Berufungsbegründung alle Rügen bezüglich des erstinstanzlichen Urteils enthalten, die der Berufungsführer vom Berufungsgericht überprüft wissen möchte. Vergisst er eine Rüge, würde dies zur Folge haben, dass das Berufungsgericht selbst von ihm erkannte und als erheblich erachtete Rechtsverletzungen übergehen muss.
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