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Seit einiger Zeit hat sich insbesondere – und man muss sagen: mal wieder – der Wettbewerbsverein „Verband sozialer Wettbewerb“ (kurz: VSW) einen Namen gemacht. In 2017 hat er begonnen, sich das gesamte Internet – insbesondere sog. Influencer – durch massenhafte Abmahnungen vorzuknüpfen, um – wie einer seiner Geschäftsführer gemäß dem Magazin Horizont (vgl. Artikel vom 22. Juli 2018) wörtlich ausgeführt hat -,
„auszuloten, was im Internet erlaubt sei“.
Vorstehendes sowie meine eigene Erfahrung mit dem VSW in einem konkreten Fall, in dem ein junges Start-up-Unternehmen zugrunde gegangen ist, weil der VSW sämtliche Partner des Start-ups mit Abmahnungen überzogen hatte, wirft die Frage auf, ob Abmahnvereinen alles erlaubt ist.
Unter anderem in dem von mir erwähnten konkreten Fall argumentiert das in erster Instanz involvierte Gericht, Abmahnvereinen würden ein sog. „Abmahnprivileg“ zustehen. Dieses würde Abmahnvereinen einen weiten Spielraum im Rahmen seiner Abmahntätigkeit einräumen.
Dem ist klar zu widersprechen:
I. Abmahnverein muss Deliktsrecht achten!
Zum einen ist die Annahme eines sog. Abmahnprivilegs bereits im Grundsatz verfehlt, zum anderen kann es nicht sein, dass Abmahnvereinen rechtsfreie Räume zugebilligt werden.
Meines Erachtens muss sich ein Wettbewerbsverband bei seinem Handeln wie jeder andere auch am allgemeinen Deliktsrechts messen lassen und muss unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb haften, wenn er im Rahmen einer Abmahnung zumindest fahrlässig – damit schuldhaft – dem Abgemahnten oder zurechenbar einem Dritten Schaden zugefügt hat.
II. Grundsätze zur unberechtigten Schutzrechtsverwanrung bilden Haftungsmaßstab für wettbewerbsrechtliches Handeln von Abmahnvereinen
Zur Begründung dieser Haftung bildet die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur sog. unberechtigten Schutzrechtsverwarnung einen geeigneten Anknüpfungspunkt.
Diese Grundsätze betreffen insbesondere den Fall, dass im Falle einer vermeintlichen Schutzrechtsverletzung nicht der Hersteller als vermeintlicher Verletzer, sondern dessen Abnehmer verwarnt werden.
Dem liegt zutreffend der Gedanke zugrunde, dass in solchen Fällen nicht der verwarnte Abnehmer, sondern der ihn beliefernde Hersteller einschneidend getroffen wird. Für den Hersteller können Verwarnungen gegenüber Abnehmern im Einzelfall existenzgefährdend sein. Vor diesem Hintergrund hat der BGH richtigerweise eine Schadensersatzpflicht angenommen, wenn der Verwarner unberechtigt gegen Abnehmer vorgeht und hierdurch den hiervon betroffenen Hersteller schädigt.
Von einer solchen spricht man, wenn der Inhaber eines angeblichen Schutzrechtes (z.B. Patentrecht) von einem anderen Unternehmen die Einstellung der Herstellung oder des Vertriebs bestimmter Produkte mit der Begründung verlangt, die Herstellung oder der Vertrieb dieser Produkte greife in seine Schutzrechte ein.
In solchen Fällen ist seit jeher von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Verwarner das Risiko der fehlenden Berechtigung seines Handelns trägt. Kurz: War seine Verwarnung ungerechtfertigt und ist ihm zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen, haftet er.
Diese zu bejahende Haftung ist insbesondere in Fällen der sog. Abnehmerverwarnung (= Verwarner mahnt nicht den Hersteller, sondern dessen Abnehmer ab) besonders gerechtfertigt: Denn Abnehmer werden sich in der Regel nicht wehren, wodurch der Hersteller bei einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung gegenüber seinen Abnehmern schwerwiegend geschädigt werden könnte.
Die Erwägungen, die zu der Bejahung einer Haftung in den Schutzrechtsfällen angeführt werden, gelten weitgehend auch für Abmahnsachverhalte in reinen Wettbewerbssachen, und zwar auch (meines Erachtens: gerade) in Fällen von Abmahnvereinen, die vermeintlich im Interesse von Mitbewerbern Wettbewerbsverstöße zu ahnden meinen.
Einzig das OLG Stuttgart – so meine Recherche – hat hierzu bislang begrüßenswerte Feststellungen getroffen. Zutreffend hat das OLG Stuttgart mit Urteil vom 21. Januar 2010 (Az. 2 U 8/09) zunächst zu der Frage, ob eine Abmahnung anders als eine gerichtliche Verfahrenshandlung zu bewerten sei, festgestellt:
„Im Lichte der Ausführungen in BGHZ 164, 1 ff. ist der Abmahnende in Wettbewerbssachen gegenüber einem von der Abmahnung betroffenen Dritten nicht durch ein „Abmahnprivileg“ geschützt.“ [Anmerkung: Hervorhebung durch den Verfasser]
Zur Begründung hat das OLG Stuttgart u. a. ausgeführt:
„Privilegierte man die Abmahnung, ergäbe sich keine wirksame Handhabe, um einem möglicherweise existenzgefährdenden Eingriff in die Kundenbeziehungen des Herstellers durch die unberechtigte Abmahnung gegenüber seinen Abnehmern entgegenzutreten.“
Zutreffend hat das OLG Stuttgart weiter festgestellt, dass die vom Bundesgerichtshof (BGH) entwickelten Grundsätze zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung sich nicht allein auf Schutzrechtsverwarnungen beschränken lassen. Das OLG Stuttgart hat ausgeführt:
„Zwar kommt demjenigen, der wie der Berufungskläger abmahnt, anders als dem Schutzrechtsverwarner schon von seinem eigenen Standpunkt aus kein Ausschließlichkeitsrecht zu, welches geeignet wäre, jeden Wettbewerber von der Benutzung des Schutzgegenstands auszuschließen, was die Wucht seines Angriffes aus der Sicht des Abgemahnten mindert. Andererseits aber entstünde auch bei der auf Unlauterkeit gestützten Abmahnung eine Unwucht, dürfte er den wirtschaftlichen Nutzen aus einer schuldhaften Verkennung des Umfangs des ihm zustehenden Rechtes ziehen, ohne für einen hierdurch verursachten Schaden einstehen zu müssen.“ [Anmerkung: Hervorhebung durch den Verfasser]
Vorzitierte Erwägungen gelten gleichsam für das Handeln von Wettbewerbsverbänden. Das OLG Stuttgart hat dazu festgestellt:
„Nichts anderes gilt, sofern nicht ein einzelner Wettbewerber abmahnt, sondern ein Verband oder ein Verein. Denn zum einen nimmt auch ein solcher die Interessen der Wettbewerber wahr, und zum anderen entstünde ansonsten eine Rechtsunsicherheit, da jeweils geprüft werden müsste, ob dem Abmahnenden auch konkurrierende Hersteller angehören bzw. zum Zeitpunkt der Abmahnung angehörten, was im vorliegenden Fall aber ohnehin feststeht.“
III. Zusammenfassender Überblick zur Haftung von Abmahnvereinen
Nach den vorzitierten zutreffenden Ausführungen des OLG Stuttgart lässt sich zusammenfassen:
- Wettbewerbsvereinen steht kein Abmahnprivileg zu.
- Unberechtigte Abmahnungen verpflichten den Abmahner zum Schadensersatz, wenn ihm zumindest Fahrlässigkeit vorwerfbar ist.
- Beim Handeln von Abmahnvereinen ist kein anderslautender Haftungsmaßstab gerechtfertigt. Auch sie müssen im Falle unrechtmäßiger Abmahnungen haften, wenn ihnen ein Verschulden zur Last zu legen ist.
Es ist zu wünschen, dass in naher Zukunft weitere Gerichte an die sehr zu begrüßenden Feststellungen des OLG Stuttgart anknüpfen werden. Zu hoffen ist, dass die eingangs erwähnte Abmahnwelle des VSW, die bereits jetzt Existenzen vernichtet hat, hierzu zum Anlass genommen würde.
AKTUELLE BEITRÄGE
Der Vorvertrag
In der Geschäftswelt sind laufend Entscheidungen zu treffen. Viele solcher Entscheidungen bestehen darin, sich in einem Projekt für einen bestimmten Partner entschieden zu haben, mit dem dann ein entsprechender Vertrag abzuschließen ist. Das häufige Problem ist dann: Es fehlt die Zeit bzw. auch einfach nur an bestimmten Klärungen tatsächlicher und/oder rechtlicher Art, den Vertrag „ adhoc“ schließen zu können. Dann kommt der Vorvertrag ins Spiel, durch den die Parteien sofort eine Bindung herbeiführen können, obwohl noch offene, klärungsbedürftige Punkte existieren.
Fertigstellungsgrad des Werkes
In den das Recht zur Verweigerung der Abnahme betreffenden Normen (§ 640 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 12 Abs. 3 VOB/B) heißt es, dass die Abnahme des Werkes wegen unwesentlicher Mängel nicht verweigert werden darf. Es findet sich dort keinerlei Aussage zum erforderlichen Fertigstellungsgrad des Werkes als Abnahmevoraussetzung.
Gerade im regelmäßig sehr komplexen Anlagenbau ist aber die Frage, welchen Grad der Fertigstellung das Werk erreicht haben muss, damit es als abnahmereif angesehen werden kann, sehr bedeutsam.
Wesentlicher Mangel im Anlagenbau
Die Beantwortung der Frage, ob ein wesentlicher Mangel vorliegt, bereitet gerade im oft sehr komplexen Anlagenbau große Schwierigkeiten. Dabei stellt das Fehlen wesentlicher Mängel die entscheidende Voraussetzung für die Abnahme dar. Letztere hat erhebliche rechtliche und praktische Bedeutung: So knüpft hieran regelmäßig der Beginn der Gewährleistungsfristen an. Zudem hängt von der Abnahme in aller Regel die Fälligkeit eines erheblichen Teils der vereinbarten Vergütung ab.
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