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Das Corona-Virus zwingt weltweit Staaten dazu, mittels drastischer Maßnahmen der Ausbreitung des Virus zu begegnen. Dies hat gravierende Auswirkungen auf das Vertragsrecht. Viele dieser Maßnahmen führen nämlich dazu, dass Verträge von zumindest einer Partei nicht mehr erfüllt werden können. Die betroffenen Fälle sind zahllos. Einige Bespiele sind:
- der Liefervertrag, der nicht bedient werden kann,
- der Gewerbemietvertrag, der mangels Umsatzerzielung vom Mieter nicht mehr erfüllt werden kann,
- die Urlaubsreise, die vom Veranstalter oder Leistungserbringer abgesagt werden muss,
- der gerichtliche geschlossene Vergleich, der wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise seine Grundlage verloren hat und nicht mehr (zumutbar) erfüllt werden kann,
- etc.
Die Kette der Beispiele ließe sich fast endlos fortführen. Jeweils stellt sich die Frage, wie die jeweilige Situation vertragsrechtlich gelöst werden kann. In aller Munde ist in diesen Tagen das Schlagwort „Höhere Gewalt“, das allerdings für sich wenig weiterhilft. So erscheint bereits fraglich, ob sich das Aufkommen des Corona-Virus überhaupt als ein Ereignis „Höherer Gewalt“ einordnen lässt.
Nachfolgender Beitrag will und kann keine Lösung für den Einzelfall bieten. Es werden vielmehr rechtliche Denkansätze aufgezeigt, deren Vertiefung im Einzelfall die Lösung bereiten kann. Die Abhandlung beschränkt sich dabei auf den Fall, dass der jeweilige Vertrag keine bzw. nur unzureichende Regelungen bereithält.
Folgen des Corona-Virus für laufende Verträge – Fallgruppen
Als Folge des Corona-Virus kommen verschiedene Szenarien in Betracht. Die drei Hauptfälle sind die Folgenden:
- Der Vertrag kann von einer Partei endgültig nicht erfüllt werden (Beispiele: Flugausfall, Konzert-Absage, Absage von Messen, etc.).
- Vorübergehend ist die Vertragserfüllung behindert (Prominentes Beispiel hierzu: Mieter kann mangels Umsatz Gewerbemiete vorübergehend nicht mehr bezahlen.).
- Ein Vertrag ist zwar noch erfüllbar, seine Durchführung erscheint aber für zumindest eine Partei infolge der Corona-Auswirkungen nicht mehr zumutbar.
Corona und Vertragsrecht: Relevante rechtliche Grundprinzipien
Bei der Bewertung eines jeden Einzelfalles ist zunächst die Berücksichtigung folgender rechtlicher Grundprijzipien hilfreich.
„pacta sunt servanda“ – Grundsatz der Vertragstreue
Oberstes, zugleich das allgemeinste Grundprinzip ist die Vertragstreue. Verträge sind grundsätzlich einzuhalten („pacta sunt servanda“).
Nach Vertragsschluss aufkommende, nicht bedachte bzw. einkalkulierte Erschwernisse der Leistungserbringung ändern an der übernommenen Leistungspflicht grundsätzlich nichts. Ausnahmen hiervon bedürfen daher einer besonderen Rechtfertigung.
„do ut des“-Prinzip bei gegenseitigen Verträgen – § 326 BGB
Bei gegenseitigen Verträgen führt die Unmöglichkeit der Leistungserbringung eine Partei grundsätzlich dazu, dass diese von ihrer Leistungspflicht frei wird. Gleichzeitig verliert sie damit aber auch ihren Anspruch auf die Gegenleistung. Dies kommt in § 326 Abs. 1 S. 1 BGB zum Ausdruck:
„Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung (…)“
Ergänzende Vertragsauslegung und Störung der Geschäftsgrundlage
Enthält der betroffene Vertrag betreffend des fraglichen Umstandes eine Lücke, die durch (ergänzende) Vertragsauslegung nach den Grundsätzen der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens (§§ 133, 157, 242 BGB) geschlossen werden kann, so hat dieser Lösungsansatz stets Vorrang vor etwaigen „Not-Instrumenten“ wie insbesondere die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB.
In der Rechtsprechung wird zu Recht immer wieder hervorgehoben, eine klare Abgrenzung zwischen ergänzender Vertragsauslegung und dem Institut der Störung der Geschäftsgrundlage kaum möglich sei.
Jedenfalls ist die getroffene rechtsgeschäftliche Regelung stets vorrangig zu berücksichtigen. In der Rechtsliteratur (vgl. Flume, BGB AT II, Das Rechtsgeschäft, 4. Auflage, 1992, Seite 326 f.) wird dabei zutreffend darauf hingewiesen, dass die Auslegung eines Vertrages nicht den Sinn haben kann, aus einem
- „ungerechten“ Vertrag einen „gerechten“ zu machen,
oder- „… die Vergesslichkeit oder Unbedachtsamkeit eines Vertragspartners bei der Stipulierung eines Rechtsgeschäfts dadurch zu korrigieren, dass sie (sc. die ergänzende Auslegung) zu Gunsten dieses Vertragspartners nachträglich die Regelungen in den Vertrag einführt, die er zwar, wenn er gut beraten gewesen wäre, zum Gegenstand des Vertrages gemacht hätte, aber eben nicht zum Gegenstand des Vertrages gemacht hat.“
Schon aus dieser zutreffenden Einsicht ergibt sich, dass ein zu ermittelnder hypothetischer Parteiwille Vorrang vor einer „allgemeinen Interessenabwägung“ auf der Grundlage eines Vorverständnisses des Richters haben muss, die eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über die Geschäftsgrundlage bestimmt.
Corona und Vertragsrecht – Mögliche Lösungen der oben genannten Fallgruppen
Unter Berücksichtigung der vorstehend zusammenfassend beschriebenen Grundsätze und rechtlichen Instrumente ergeben sich nachfolgende Lösungsansätze.
Corona und Vertragsrecht – Fall 1: Ein Vertrag kann von einer Partei endgültig nicht erfüllt werden
Mangels anderslautender vertraglicher Regelung dürfte die Lösung in der Fallkonstellation 1 meist eindeutig sein:
Der Vertragspartner, der wegen höherer Gewalt endgültig nicht leisten kann, ist von seiner Leistungspflicht befreit, § 275 Abs. 1 BGB. Infolgedessen verliert er den Anspruch auf die vereinbarte Gegenleistung (= in der Regel: Vergütung), § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Mangels eines Verschuldens kommen Schadensersatzansprüche des Gläubigers regelmäßig nicht in Betracht.
Corona und Vertragsrecht – Fall 2: Ein Vertrag kann vorübergehend nicht erfüllt werden
Soweit kein sog. Fixgeschäft vorliegt, und die von der Höheren Gewalt betroffene Leistung voraussichtlich später nachgeholt werden kann, ist die Situation komplexer:
Insbesondere in dieser oft anzutreffenden Konstellation zeigt sich der Vorteil der Vereinbarung von Höhere Gewalt-Klauseln, in denen regelmäßig vereinbart ist, wie mit Situationen umgegangen werden soll.
Primärer Lösungsansatz: Ergänzende Vertragsausslegung
Fehlt es hieran, kommt wie oben beschrieben zunächst die ergänzende Vertragsauslegung zum Tragen. Oftmals finden sich in Verträgen allgemein gehaltene Vereinbarungen, denen besondere Treue- und/oder Kooperationspflichten entnommen werden können. Über diesen Umweg lassen sich oftmals Ergebnisse erzielen, wie sie in Höhere Gewalt Klauseln ausdrücklich vorgesehen sind.
Namentlich zu nennen ist Pflicht zu gemeinsamen Anstrengungen zur beidseitigen Schadensbegrenzung. Gegenseitige Schadensersatzansprüche dürften mangels Verschulden auch ohne entsprechende vertragliche Regelung regelmäßig ausgeschlossen sein.
Notfalls: Rückgriff auf die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage
Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, wann die Leistungspflicht des betroffenen Schuldners endgültig entfällt mit der Folge, dass auch die andere Partei endgültig nicht zu leisten braucht.Hier kann das Instrument der Störung der Geschäftsgrundlage weiterhelfen. In § 313 Abs. 1 BGB heißt es:
- „Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und
- hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten,
- so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.“
Ergänzend bietet auch das Leistungsverweigerungsrecht des § 275 Abs. 2 BGB Hilfe bei der Lösungsfindung:
„Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.“
Im Zusammenspiel obiger gesetzlicher Regelungen dürfte sich für den betroffenen Schuldner dann, wenn ein Fortfall des Leistungshindernisses nicht absehbar ist , ein Anspruch auf einvernehmliche Vertragsaufhebung ergeben.Dies beruht darauf, dass für den Schuldner ein Festhalten an den ursprünglich vereinbarten Leistungspflichten nicht zumutbar erscheint.
Schadensersatzpflicht bei Leistungsfreiheit?
Nicht beantwortet ist damit freilich die Frage, ob der Gläubiger für die „Entlassung“ des Schuldners aus seiner Leistungspflicht ein Schadensersatzanspruch zuzusprechen ist. Dagegen spricht, dass den Schuldner kein Verschulden anzulasten ist. Dafür spricht, dass die Leistung grundsätzlich noch erbracht werden kann und das Fehlen einer vertraglichen Regelung tendenziell dafür spricht, dass der Schuldner das fragliche Risiko (Pandemie) trägt. Hierbei ist nicht zu vergessen, dass das in Rede stehende Risiko nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt. Nicht ohne Grund sind Höhere Gewalt-Klauseln auch eher Regel als Ausnahme im Vertragsrecht.
Nach allem dürften die jeweiligen Umstände des Einzelfalles der Ausschlag geben.
Corona und Vertragsrecht – Fall 3: Ein Vertrag ist zwar noch erfüllbar, seine Durchführung erscheint für eine Partei aber nicht mehr zumutbar.
Die Fallkonstellation, wonach sich
- ein Vertrag trotz Corona-Behinderungen zwar als später noch erfüllbar darstellt,
- seine (spätere) Durchführung für zumindest eine Partei aber nicht mehr zumutbar erscheint,
zeigt im Besonderen, wie wichtig auch Eventualitäten wie „Corona“ berücksichtigende Vertragsklauseln sein können. Fehlt es hieran, hilft wiederum § 275 Abs. 2 BGB weiter, der auf das Gebot von Treu und Glauben und auch darauf abstellt, ob im Falle der Leistungserbringung eines „grobes Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers“ bestünde.
Im konkreten Fall wäre also zu untersuchen, ob der betroffene Schuldner, für den die Leistungserbringung infolge der Corona-Auswirkungen zwar möglich, aber deutlich erschwert wäre, sich mit Erfolg auf das vorbeschriebene Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 2 BGB berufen kann.
Fazit zu Corona im Vertragsrecht: Störungen von Verträgen infolge des Corona-Virus bedürfen meist einer Einzelfall-Bewertung
Die möglichen Sachverhaltskonstellationen sind schier endlos. Musterlösungen hält das Gesetz nicht parat, wobei auch bei Vorhanden von Force Majeure Klauseln eine konkrete Lösung kaum „auf der Hand liegen“ dürfte. Meist dürfe die Lösungsfindung nur unter genauer Untersuchung aller Umstände des Einzelfalles möglich sein. Dies hat mittlerweile auch der BGH in ersten Corona-Urteilen bestätigt, vgl. dazu diesen Beitrag.
AKTUELLE BEITRÄGE
Anfechtungsmöglichkeiten eines gerichtlich geschlossenen Vergleichs
Zivilprozesse werden vielfach im Wege eines zwischen den Parteien im Laufe des Verfahrens geschlossenen Vergleichs beendet. Häufig geschieht dies mit Hilfe des Gerichts. Die Praxis zeigt, dass ein solcher Vergleichsschluss, trotz Beteiligung des Gerichts, durchaus Tücken in sich birgt. Nachfolgend möchte ich einen Überblick verschaffen.
Zur Befangenheit von Richtern im Zivilprozess: Wenn Richter Schriftsätze einer Partei nicht lesen, kann dies einen Befangenheitsantrag rechtfertigen!
Im Anschluss an meinen Überblicks-Beitrag zum Befangenheitsantrag nach § 42 ZPO möchte ich über ein interessantes Urteil des OLG Karlsruhe berichten. Demnach kann es die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn ein Richter die von einer Partei eingereichten Schriftsätze nicht liest. Im betreffenden Fall hatte ein Richter einen gegen ihn gerichteten Befangenheitsantrag übersehen, da er den diesen enthaltenen Schriftsatz ungelesen an die Gegenpartei zur Stellungnahme weitergeleitet hatte. Dies verstößt gegen die sog. Wartepflicht nach § 47 Abs. 1 ZPO, wonach ab Stellung eines Befangenheitsantrags bis zu dessen Erledigung nur „unaufschiebbare Amtshandlungen“ zulässig sind.
BGH zu den Rechtsfolgen einer Beweisvereitelung
In Rechtstreitigkeiten kommt es immer wieder vor, dass eine Partei die Beweisführung des Gegners erschwert. In diesen Fällen kommt dann die Frage auf, ob und gegebenenfalls mit welcher Rechtsfolge von einer Beweisvereitelung auszugehen ist.
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