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Gerichte müssen ihrer sog. Hinweispflicht (§ 139 ZPO) grundsätzlich vor der mündlichen Verhandlung nachkommen! – BGH-Beschluss vom 11.4.2018 (Az. VII ZR 177/17)

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Gerichte müssen ihrer sog. Hinweispflicht (§ 139 ZPO) grundsätzlich vor der mündlichen Verhandlung nachkommen! - BGH-Beschluss vom 11.4.2018 (Az. VII ZR 177/17)

Es ist leider gängige Praxis im Zivilprozess, dass die Gerichte Hinweise an die Parteien erst in der mündlichen Verhandlung erteilen. Mit den Konsequenzen dieser Praxis hat sich der BGH in einem praxisrelevanten Beschluss vom 11.4.2018 (Az. VII ZR 177/17) beschäftigt.

Parteien eines Zivilprozesses und deren Rechtsvertreter erleben es als die Regel, dass sich das zur Entscheidung berufene Gericht erst in der mündlichen Verhandlung zum fraglichen Fall äußert.

Wenn – was oft der Fall ist – sich solche Hinweise auf entscheidungsrelevante Umstände beziehen, hat dies regelmäßig prozessuale Konsequenzen, die von den Beteiligten – im vorliegenden Fall gar auch vom Berufungsgericht – übersehen werden.

Dies hat der BGH in seinem eingangs genannten Beschluss klargestellt, in dem zur Hinweispflicht des Gerichts ausgeführt hat:

Das Landgericht ist seiner Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO nicht hinreichend nachgekommen. Das Gericht muss in Erfüllung seiner prozessualen Fürsorgepflicht gemäß § 139 Abs. 4 ZPO Hinweise auf seiner Ansicht nach entscheidungserhebliche Umstände, die die betroffene Partei erkennbar für unerheblich gehalten hat, grundsätzlich so frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung erteilen, dass die Partei die Gelegenheit hat, ihre Prozessführung darauf einzurichten und schon für die anstehende mündliche Verhandlung ihren Vortrag zu ergänzen und die danach erforderlichen Beweise anzutreten. Erteilt es den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben.

Die Konsequenz des vom BGH vorbeschriebenen Versäumnisses des Gerichts, Hinweise bereits vor der mündlichen Verhandlung zu erteilen, benennt der BGH dann wie folgt:

Wenn es offensichtlich ist, dass die Partei sich in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht – wenn es nicht in das schriftliche Verfahren übergeht – auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass die mündliche Verhandlung vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Mit anderen Worten:

Das Gericht kann in solchen Fällen die mündliche Verhandlung nicht einfach als geschlossen betrachten und ein Urteil fällen. Es muss der betroffenen Partei vielmehr hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Ausnahme ist, was allerdings selten der Fall sein dürfte, dass die Partei bei verständiger Würdigung noch in der mündlichen Verhandlung – mithin spontan – hätte hinreichend Stellung beziehen können.

Weitere – für die Praxis vielleicht wichtigste – Konsequenz ist:

Auf einen entsprechenden Antrag auf sog. Schriftsatznachlass kommt es in diesen Fällen nicht an! Auch ohne dass die betroffenen Partei einen solchen Antrag stellt – vorliegend war dies versäumt worden – muss das Gericht rechtliches Gehör gewähren. Hierzu der BGH im fraglichen Beschluss:

In diesem Zusammenhang ist unschädlich, dass der Beklagte keinen Antrag auf Gewährung einer Frist zur Stellungnahme auf den Hinweis gestellt hat. Der Erlass des Urteils unmittelbar am Schluss der Sitzung, ohne dass dem Beklagten Gelegenheit gegeben wurde, auf den Hinweis zu reagieren, stellt sich als verfahrensfehlerhaft dar.

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Fazit:

In Kenntnis diese wichtigen Rechtsprechung des BGH können Parteien eines Zivilprozesses mündlichen Verhandlungen erheblich entspannter entgegensehen.

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Zur Hinweispflicht des Gerichts im Zivilprozess

Es ist nicht selten, dass Gerichte bis zum ersten Verhandlungstermin – bis dahin können im schlimmsten Fall Jahre vergehen – schlichtweg schweigen. Die Parteien wissen so über lange Zeit nicht, wo sie stehen und erwarten mit großer Spannung den Verhandlungstermin, von dem sie sich endlich Erkenntnisse zur Sichtweise des Gerichts erhoffen. Erst während des Gerichtstermins erteilen Richter dann oft sog. gerichtliche Hinweise nach § 139 Abs. 2 u. 3 ZPO. Dieses Vorgehen ist rechtswidrig!

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Bezugnahme auf USB-Stick im Klageantrag

Unser neuester Beitrag analysiert das BGH-Urteil vom 14.07.2022, das erstmals die Bezugnahme auf einen USB-Stick im Klageantrag zulässt. Erfahren Sie, wie dieses Urteil den Rahmen der Digitalisierung im Zivilprozess erweitert und welche Konsequenzen es für die Praxis hat.

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Antragsbefugnis von Wettbewerbsvereinen in Zweifel ziehen!

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Antragsbefugnis von Wettbewerbsvereinen in Zweifel ziehen!

Sog. Abmahnvereine (Vgl. § 8 Abs. 3 Nr.2 UWG) machen der Wirtschaft gehörig zu schaffen. Gerade kleinere Unternehmen oder Start-Ups können es sich oft nicht leisten, sich zu wehren. Dabei wird übersehen, dass ein Abmahnverein nur unter engen Voraussetzungen befugt ist, vermeintliche Wettbewerbsverstöße zu verfolgen. Die folgt aus § 8 Abs.3 Nr. 2 UWG:

„Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu: (…)

2. rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, wenn sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt;“

Dies bedeutet:

Ein Abmahnverein darf im Einzelfall nur dann tätig werden, wenn:

er zu seinen Mitgliedern eine erhebliche Anzahl von Mitgliedern zählen darf, die
Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben.

Kurz: Will ein Abmahnverein beispielsweise gegen eine Werbeagentur vorgehen, muss er grundsätzlich eine erhebliche Anzahl von Werbeagenturen (o.ä. Unternehmen) zu seinen Mitgliedern zählen.

Zwar ist die Rechtsprechung bei Prüfung dieses grundsätzlich strengen Erfordernisses bedauerlicherweise recht großzügig. Dies mag aber auch daran liegen, dass die Betroffenen die Antrags- bzw. Klagebefugnis des sie „angreifenden“ Wettbewerbsverbandes nicht mit der gebotenen Hartnäckigkeit in Zweifel ziehen. Aus eigener Erfahrung kann ich von einem Fall berichten, in welchem eine Internetrecherche hinsichtlich angeblicher Mitglieder zu erstaunlichen Erkenntnissen geführt hatte:

So stellte sich heraus, dass von den angegebenen vier Mitgliedern der relevanten Branche nicht ein einziges verifiziert werden konnte. Im Gegenteil: Eine der angeblichen Werbeagenturen entpuppte sich als Schönheits-Klinik.

Die Lehre hieraus ist, dass es sich in jedem Falle lohnt, die Angaben der Mitgliederliste, aus der ein jeder Abmahnverein seine vermeintliche Befugnis zur Ahnung von Wettbewerbsverstößen ableitet, zu hinterfragen!

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Neuere Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an eine nicht ausdrücklich getroffene Beschaffenheitsvereinbarung

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Neuere Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an eine nicht ausdrücklich getroffene Beschaffenheitsvereinbarung

In einem recht aktuellen Urteil hat der BGH aufschlussreiche Feststellungen zu der äußerst praxisrelevanten Frage getroffen, wann im konkreten Fall bei Fehlen einer ausdrücklichen Abrede von einer Beschaffenheitsvereinbarung auszugehen ist.

I.
Im BGH-Urteil vom 31.8.2017 (Az. VII ZR 5/17, NJW 2017, 3590) heißt es:

„ Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hält die vom BerGer. vorgenommene Auslegung des Werkvertrags der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Auslegungsergebnis des BerGer., wonach hinsichtlich der Farbstabilität des Weißanstrichs keine (konkludente) Beschaffenheitsvereinbarung zustande gekommen ist, beruht auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung. Bei der Auslegung im Hinblick auf eine etwaige Beschaffenheitsvereinbarung ist die berechtigte Erwartung des Bestellers an die Werkleistung von Bedeutung (vgl. BGH, NJW 2007, 3275 = NZBau 2007, 507 = BauR 2007, 1407 [1409] Rn. 23). Der Bekl. durfte mangels Erörterung des Vergilbungsrisikos vor oder bei Vertragsschluss und mangels besonderen Fachwissens zu dieser Problematik angesichts der beträchtlichen Kosten der Malerarbeiten die berechtigte Erwartung hegen, dass der nach der Besichtigung der Probefläche festgelegte Weißanstrich – übliche Reinigung vorausgesetzt – nicht bereits nach weniger als einem Jahr mehr als nur unwesentlich vergilben würde. Diesen für eine beiderseits interessengerechte Vertragsauslegung bedeutsamen Gesichtspunkt hat das BerGer. nicht hinreichend gewürdigt.“

II.
Fazit:
Der BGH hat in diesem interessanten Urteil klargestellt, dass eine schlüssige Vereinbarung über eine bestimmte Beschaffenheit selbst dann vorliegend kann, wenn es an einer bestätigenden Bekundung fehlt. Vielmehr kann es ausreichen, wenn der Käufer im Einzelfall für den Verkäufer erkennbar eine berechtigte Erwartung hinsichtlich einer bestimmten Beschaffenheit hat.

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Gewährleistungsausschluss: Haftung für lediglich „schlüssig“ zwischen den Parteien vereinbarte Beschaffenheit?

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Gewährleistungsausschluss: Haftung für lediglich „schlüssig“ zwischen den Parteien vereinbarte Beschaffenheit?

I.
Gewährleistungsausschlüsse sind im Vertragsrecht weit verbreitet. Käufer oder Auftraggeber sind in der Regel – selbstverständlich in unterschiedlichem Umfang – auch bereit, solche Begrenzungen der Haftung des Vertragspartners zu akzeptieren.

Doch was gilt, wenn die Parteien einerseits bestimmte Eigenschaften des Vertragsgegenstandes vereinbart haben und andererseits die Gewährleistung umfassend ausgeschlossen haben?

Zu dieser äußerst praxisrelevanten Thematik am Beispiel des Kaufrecht folgende Analyse:

II.
§ 434 Absatz 1 Satz 1 des bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) lautet:

„Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat.“

Wenn es nun – wie nicht selten – im ausverhandelten Kaufvertrag sinngemäß heißt: „Der Kauf erfolgt unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung“ (häufiges Beispiel: Kaufverträge über gebrauchte PKW), stellt sich die Frage, ob solche Ausschlüsse auch Beschaffenheiten umfassen, welche die Parteien vereinbart hatten.

Das Gesetz gibt hierzu keine Antwort.

Wenn und soweit die Parteien eine bestimmte Beschaffenheit ausdrücklich im Vertragstext vereinbart haben, ist die Antwort der Rechtsprechung eindeutig. In ständiger Rechtsprechung nimmt der Bundesgerichtshof (BGH) in solchen Fällen an, dass der Gewährleistungsausschuss bei interessengerechter Auslegung eine vereinbarte Beschaffenheit nicht umfassen kann. Der BGH führt hierzu aus (vgl. nur BGH, 29.11.2006 – VIII ZR 92/06):

„Sind in einem Kaufvertrag zugleich eine bestimmte Beschaffenheit der Kaufsache und ein pauschaler Ausschluss der Sachmängelhaftung vereinbart, ist dies regelmäßig dahin auszulegen, dass der Haftungsausschluss nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit ( § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB), sondern nur für solche Mängel gelten soll, die darin bestehen, dass die Sache sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet ( § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB) bzw. sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und keine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann ( § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB).“

III.
Doch was gilt, wenn es an einer solchen ausdrücklichen Vereinbarung fehlt, der Käufer aber zurecht der Auffassung ist, er sei sich mit dem Verkäufer hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft einig gewesen?

Der Gesetzgeber hat bereits zu verstehen gegeben, dass für eine Bechaffenheitsvereinbarung eine „konkludente Übereinstimmung der Parteien“ ausreicht. In der BT-Drucksache14/ 6040 (dort S. 213) heißt es:

„(…) Ob es sich dabei um eine vertragliche Vereinbarung handelt oder ob es um Vorstellungen der Parteien im Vorfeld des Vertrags geht, will der Entwurf nicht entscheiden. Die Formulierung macht jedenfalls deutlich, dass eine konkludente Übereinstimmung der Parteien ausreicht. Dies dient auch der Umsetzung von Artikel 2 Abs. 2 Buchstabe b der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Danach wird die Vertragsmäßigkeit vermutet, wenn das Verbrauchsgut sich für einen bestimmten vom Verbraucher angestrebten Zweck eignet, den der Verbraucher dem Käufer bei Vertragsschluss zur Kenntnis gebracht und dem der Verkäufer zugestimmt hat. In diesen Fällen wird zwar häufig eine „vereinbarte Beschaffenheit“ der Kaufsache im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 1 RE anzunehmen sein. Für die eventuell verbleibenden Fallkonstellationen, in denen von einer vertraglich vereinbarten Beschaffenheit nicht ausgegangen werden kann, die Parteien aber dennoch eine bestimmte Verwendung der Kaufsache bei Vertragsschluss vorausgesetzt haben, kann auf § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RE zurückgegriffen werden. (…). „

Im Grundsatz besteht konsequenterweise in der Rechtsprechung ebenfalls Einigkeit dahin, dass bei Zusammentreffen von konkludenter bzw. schlüssig vereinbarter Beschaffenheit und Gewährleistungsausschluss nichts anderes gelten kann als bei Zusammentreffen einer ausdrücklich in die Vertragsurkunde aufgenommene Beschaffenheit und einem Gewährleistungsausschluss.

Dem ist vollkommen zuzustimmen: Wenn sich die Parteien nach den Umständen hinsichtlich einer bestimmten Beschaffenheit (Eigenschaft) einig waren, darf sich der Verkäufer über einen pauschalen Gewährleistungsausschluss hiervon nicht lossagen können

Bleibt dennoch folgendes in der Praxis entscheidendes Problem:

Welche Anforderungen sind an eine vom Käufer behauptete Beschaffenheitsvereinbarung zu stellen?:

Der BGH hat mit Urteil vom 20. 5. 2009 (Az. VIII ZR 191/07, NJW 2009, 2807) folgende aufschlussreichen Ausführungen gemacht:

„Zwar kann die für eine Beschaffenheitsvereinbarung erforderliche Willensübereinstimmung auch konkludent in der Weise erzielt werden, dass der Käufer dem Verkäufer bestimmte Anforderungen an den Kaufgegenstand zur Kenntnis bringt und dieser zustimmt (BT-Dr 14/6040, S. 213). Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Käufers genügt dafür jedoch selbst dann noch nicht, wenn sie dem Verkäufer bekannt ist.(…)“

Damit lässt sich folgende Faustformel festhalten:

Eine konkludente Übereistimmung in der Weise, dass eine Käufererwartung geäußert wurde und Verkäufer darauf zustimmend reagiert, reicht für eine Beschaffenheitsvereinbarung aus.

Weiter folgt daraus, dass – anders als bei der Zusicherung nach altem Recht – ein besonderer Einstandswille des Verkäufers nicht erforderlich ist (vgl. auch Westermann in MüKo-BGB, § 434, Rn. 16, 7.A. 2016).

So ausdrücklich des OLG Köln mit Urteil vom 20. 2. 2013 – 13 U 162/09 (NJW-RR 2013, 1209):

„(…) Nicht erforderlich ist ein besonderer Einstandswille des Verkäufers, wie er für die Zusicherung nach § 463 BGB a. F. verlangt wurde; andererseits reicht eine einseitige Beschreibung seitens des Verkäufers nicht aus. Für die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung ist es ausreichend, wenn der Käufer seine Erwartungen an die Kaufsache formuliert und der Verkäufer darauf zustimmend reagiert. Das kann auch konkludent geschehen und wird insbesondere dann der Fall sein, wenn es sich bei dem Verkäufer um einen Fachmann handelt, der die geäußerten Vorstellungen des Käufers von bestimmten Eigenschaften und Umständen widerspruchslos stehen lässt (BGH, NJW 2009, 2807; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2008, 1735; Westermann, in: MünchKomm-BGB, § 434 Rdnr. 16).“

Und auch das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 10.3.2015 – I-21 U 93/14 (NJW-RR 2015, 1103):
Eine Beschaffenheitsvereinbarung kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend getroffen werden. Nicht erforderlich ist ein besonderer vom Verkäufer erklärter Einstandswille. Vielmehr genügt es, wenn der Käufer im Rahmen der Vertragsverhandlungen bestimmte Erwartungen an den Kaufgegenstand formuliert und der Verkäufer dem zustimmt (vgl. BGH, NJW 2013, NJW Jahr 2013 Seite 1074 [NJW Jahr 2013 1075] = MMR 2013, MMR Jahr 2013 Seite 294 Rn. MMR Jahr 2013 Seite 294 Randnummer 16; Staudinger/Matusche-Beckmann, § 434 Rn. STAUDINGER BGB § 434 Randnummer 64; MüKoBGB/Westermann, § 434 Rn. MUEKOBGB Randnummer 16). In Abgrenzung hierzu ist jedoch von einer Beschaffenheitsvereinbarung nicht bereits bei bloßen einseitigen Vorstellungen des Käufers auszugehen (vgl. BGH, NJW 2013, NJW Jahr 2013 Seite 1074 = MMR 2013, MMR Jahr 2013 Seite 294).

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IV.
Fazit:

Erforderlich und ausreichend ist, wenn die fragliche Beschaffenheit nicht bloße einseitige Vorstellung des Käufers gewesen ist, sondern es sich hierbei um ein klar geäußerte Erwartung gehandelt hat, auf welch der Verkäufer auf zustimmende Art und Weise reagiert hat.

Da zudem nach wohl einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ein erklärter Einstandswille nicht erforderlich ist, können die Anforderungen an die erforderliche zustimmende Reaktion auf die vom Käufer geäußerte Erwartung meines Erachtens nicht darüber hinausgehen, dass der Verkäufer irgendwie zu verstehen gegeben hat, dass er die vom Käufer erwartete Beschaffenheit teilt.

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