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Eine spannende Frage, die vor allem Produkthersteller – aber natürlich auch betroffene Verbraucher – interessieren dürfte, ist, ob und ggf. wofür der „TÜV“, also die diversen über ganz Deutschland verteilten TÜV-Unternehmungen, eigentlich haftet, wenn sich trotz zugeteiltem GS-Zeichen ein Produkt als unsicher herausstellt?
Die Problematik
Besonders spannend und auch relevant ist diese Frage mit Blick auf das sog. „GS-Zeichen“, das der TÜV gegen nicht unerhebliches Entgelt Herstellern für ihre Produkte zur Nutzung zuteilt. „GS“ steht für „geprüfte Sicherheit“ und soll Kaufinteressenten die Gewissheit vermitteln, dass das fragliche Produkt „sicher“ ist.
Was aber ist, wenn sich ein Produkt als nicht sicher entpuppt? Dies Frage hat erheblich Bedeutung, weil der Produkthersteller gegenüber seinen Käufern natürlich für die Sicherheit seiner Produkte nach geltendem Produkthaftungs- und sicherheitsrecht haftet. Dann aber stellt sich die Frage, ob der TÜV, der dem Hersteller gegenüber – wie gesagt: gegen nicht unerhebliches Entgelt – die Sicherheit „bestätigt“ hat, für seine Fehleinschätzung haften muss?
Die Rechtslage
Zunächst: Wer ist der TÜV und was tut er eigentlich im Kontext des sog. „GS-Zeichens“?
Technischer Überwachungsverein (bekannt unter der Abkürzung „TÜV“) bezeichnet eingetragene Vereine, die als technische Prüforganisation Sicherheitskontrollen durchführen. Meist gehen diese Sicherheitskontrollen – wie auch das hier im Fokus stehende „GS-Zeichen“ -, auf gesetzliche Regelungen zurück, die neben dem Prüfgegenstand auch vorsehen, wer befugt ist, diese Prüfungen durchzuführen. Die bekannteste Organisation, die zu diesen Prüfungen befugt ist, sind die unter der geschützten Marke „TÜV“ agierenden Vereine (z.B. TÜV Süd, TÜV Rheinland oder TÜV Nord).
Die Rechtsgrundlage für das hier fragliche „GS-Zeichen“ sind die §§ 20 ff. des Produktsicherheitsgesetzes, kurz: ProdSG.
Der TÜV „testet“ und „prüft“ Produkte im Auftrag von Produktherstellern und lizenziert dann im Erfolgsfalle entsprechende Zertifikate oder Siegel (z.B. das „GS“ Zeichen) an die Hersteller. Die Hersteller bringen dann ihre Produkte mit dem „Segen“ des TÜV auf den Markt. Hierbei verdient der TÜV dann über Lizenzentgelte nicht wenig Geld.
Haftet der TÜV für später auftretende (konstruktive) Mängel?
Was ist aber, wenn sich später herausstellt, dass das vom TÜV „abgesegnete“ Produkt konstruktive Mängel aufweist, die der TÜV bei seiner Prüfung hätte erkennen können (oder müssen?) und infolgedessen Schäden entstehen?
Eine solche Haftung anzunehmen, erscheint nicht abwegig, wobei es interessanterweise wenig (bis keine) Rechtsprechung zu dieser Thematik gibt.
Eine nähere Betrachtung dieser Frage ergibt Folgendes:
1.
Die Überprüfung eines Produkts auf die Einhaltung der Anforderungen des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) und die Bestätigung des Vorliegens dieser Voraussetzungen durch ein Zertifikat ist eine privatrechtliche gutachterliche Tätigkeit, auf die das Werkvertragsrecht Anwendung findet (vgl. Urteil des OLG München vom 30.07.2009, 23 U 2005/08).
Der Hersteller dürfte meines Erachtens nicht dazu verpflichtet sein, selbst die Richtigkeit der Angaben des TÜV zu überprüfen. Auf die Vergabe des Siegels darf der Hersteller des Produkts vertrauen (vgl. Urteil des OLG München vom 30.07.2009, 23 U 2005/08).
2.
Ob der TÜV seine Pflichten verletzt hat oder daher möglicherweise schadensersatzpflichtig ist, richtet sich damit grundsätzlich nach dem Inhalt des GS-Zeichen-Vertrages.
Der Pflichtenumfang muss dabei allerdings mindestens dem Gesetz entsprechen. In § 21 Absatz 1 ProdSG heißt es:
Die GS-Stelle darf das GS-Zeichen nur zuerkennen, wenn
1.
das geprüfte Baumuster den Anforderungen nach § 3 entspricht und, wenn es sich um ein Verbraucherprodukt handelt, zusätzlich den Anforderungen nach § 6 entspricht,
2.
das geprüfte Baumuster den Anforderungen anderer Rechtsvorschriften hinsichtlich der Gewährleistung des Schutzes von Sicherheit und Gesundheit von Personen entspricht,
3.
bei der Prüfung des Baumusters die vom Ausschuss für Produktsicherheit für die Zuerkennung des GS-Zeichens ermittelten Spezifikationen angewendet worden sind,
4.
Vorkehrungen getroffen wurden, die gewährleisten, dass die verwendungsfertigen Produkte mit dem geprüften Baumuster übereinstimmen.
Vor herausragender Relevanz ist § 21 Absatz 1 Nr. 1 ProdSG, da demnach das GS-Zeichen nur zuerkannt werden darf, wenn die Anforderungen des § 3 ProdSG erfüllt sind. § 3 ProdSG seinerseits ist die Zentralnorm des Produktsicherheitsrechts überhaupt, weil dort bestimmt ist, dass nur ein sicheres Produkt auf dem Markt bereitgestellt werden darf.
Damit steht fest:
Der TÜV muss genauso wie der Hersteller alle Anforderungen erfüllen, die für ein Bereitstellen auf dem Markt gelten, wenn er im Rahmen eines GS-Zeichen-Vertrages das gesetzlich normierte GS-Zeichen seinem Vertragspartner zur Verwendung lizenzieren will.
3.
Geht man weiter davon aus, dass der TÜV im Einzelfall seine vertraglichen Pflichten zurechenbar und schuldhaft verletzt hat, nämlich dadurch, dass er
- die Produktprüfung nicht ordnungsgemäß durchführte,
- erkennbare Mängel übersah oder verschwieg, oder
- einen insofern angezeigten Hinweis unterließ und
- daraufhin ein zu Unrecht – unter Verstoß gegen § 21 ProdSG – ein Zertifikat über die Einhaltung aller Vorschriften verliehen hat,
ist meines Erachtens eine Haftung des TÜV (oder sonstiger „GS-Stellen“) für daraus resultierende Schäden (Produkthaftungsfälle) alles andere als fernliegend.
Denn:
4.
Bei pflichtgemäßer Erfüllung des „GS-Zeichen-Werkvertrages“ hätte der TÜV die Zuteilung des GS-Zeichens unter Verweis auf die festgestellten Sicherheitsmängel verweigern müssen.
Dann aber – dies darf man meines Erachtens ohne weiteres annehmen – hätte der Hersteller das Produkt nicht in Verkehr gebracht.
Mithin wäre der fragliche Schaden auch nicht entstanden.
5.
Weiteres Zwischenergebnis:
Eine reine Kausalitätsbetrachtung (= Ursächlichkeitsbetrachtung) legt die Annahme einer Haftung nahe.
6.
Letztlich entscheidend dürfte unter Wertungs- und Zurechenbarkeitsgesichtspunkten sein, ob der TÜV im Verhältnis zum Hersteller tatsächlich, eine haftungsrelevante Produktverantwortung übernimmt.
Meines Erachtens sprechen gewichtige Gründe dafür, dass der TÜV gegenüber dem Hersteller mindestens eine Mitverantwortung für die Sicherheit des von ihm geprüften Produkts übernimmt:
So ist zu bedenken, dass die „GS-Zeichen“-Prüfung zwei Seiten hat. Hiervon bildet die vom Gesetzgeber vorgesehene Prüfung und ggf. Zuteilung des GS-Zeichens (§§ 20 ff. ProdSG) nur „die eine Seite der Medaille“.
Nach meiner Erfahrung ist genau diese Seite der Medaille regelmäßig die Rechtfertigung des TÜV dafür, dass er für die Sicherheit des von ihm geprüften Produkts nicht einzustehen hat. Sein Argument: Er führt „nur“ die gesetzlich vorgesehene GS-Zeichen-Prüfung durch, dies auf Basis der jeweils einschlägigen Normen (DIN, EN etc.). Macht er die Prüfung „normgemäß“ – was wohl meist der Fall sein dürfte -, sei ihm nichts vorzuwerfen.
Meines Erachtens ist diese Betrachtung schlicht zu eng. Denn der TÜV hat sich aus einem Werkvertrag verpflichtet, die Sicherheit des fraglichen Produkts zu prüfen. Qua Gesetz – damit vertraglich nicht einschränkbar – muss der TÜV diese Prüfung in gleichen Umfang durchführen – und damit meins Erachtens verantworten – , wie der Hersteller selbst. Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass sich der TÜV das Gütesiegel („GS“) teuer bezahlen lässt. Meines Erachtens folgt hieraus, dass der TÜV gegenüber dem Hersteller, der ihn teuer bezahlt, auch Verantwortung dafür übernimmt, dass das fragliche Produkt tatsächlich sicher ist. Ist es dies nicht, haftet der TÜV im Schadensfall. Letzteres gilt meines Erachtens auch gegenüber geschädigten Verbrauchern, die nicht zuletzt das fragliche Produkt wegen des durch das GS-Zeichen vermittelten Vertrauen in dessen Sicherheit erworben hatten. Der Werkvertrag zwischen TÜV und Hersteller dürfte regelmäßig Schutzwirkung zugunsten der Verbraucher entfalten.
Fazit
Kommt es bei „GS“-Produkten zu einem Produkthaftungsfall, kann es sich für den Hersteller und betroffene Verbraucher lohnen, eine (Mit-)haftung des TÜV bzw. der sonstigen Zertifizierungsstelle zu en Sie hier um Ihren eigenen Text einzufügen
AKTUELLE BEITRÄGE
„Beweisführung“ allein durch Parteivortrag möglich! – Zum Beschluss des BGH vom 10.03.2021 – Az. XII ZR 54/20
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Ratgeber GmbH-Recht: Zu den Pflichten und Haftungsrisiken des Geschäftsführers einer GmbH
Im Außenverhältnis haftet zwar grundsätzlich nur die GmbH, die sich bei ihren Geschäftsführern schadlos halten kann. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine Außenhaftung der Geschäftsführer ausgeschlossen ist.
Neben der Eigenhaftung im Bereich des Steuer– und Sozialrechts kommt eine Haftung des Geschäftsführers aus eigenen vertraglichen Verpflichtungen, aus veranlasstem Rechtsschein, wegen eines (Eigen-)Verschuldens bei Vertragsschluss sowie aus unerlaubter Handlung in Betracht.
Aus vorgenannten Gründen ist jedem Geschäftsführer einer GmbH dringend zu empfehlen, die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsführertätigkeit genau zu kennen.
Schätzung fiktiver Mängelbeseitigungskosten
Bereits seit einiger Zeit ist durch eine Grundsatzentscheidung des BGH geklärt, dass der kaufvertragliche Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß den §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten bemessen werden kann, vgl. BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az. V ZR 33/19. Für die Praxis ist hieran anknüpfend von besonderer Relevanz, wie das im Einzelfall zur Entscheidung berufene Gericht die Höhe solcher fiktiven Schadenskosten zu bestimmen hat.
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