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Richtungsweisendes BGH-Urteil vom 26. September 2018 (Az. VIII ZR 187/17) zu den Haftungsregeln beim Unternehmenskauf: BGH beseitigt verbreitetes Fehlverständnis seiner Rechtsprechung zur Anwendung des Sachmängelgewährleistungsrechts beim Anteilskauf.

Mit Beitrag vom 9. Oktober 2018 hatte ich bereits über das am 26. September 2018 verkündete Urteil des VIII. Zivilsenats des BGH berichtet, das eine Weichenstellung für die Haftung beim sog. Share Deal bedeutet. Nun sind die Urteilsgründe eingetroffen, was Anlass für eine Fortsetzung meines Beitrags ist.

Im fraglichen Fall eines Anteilskaufs kämpfe ich seit 1. Instanz dafür, dass der Verkäufer für die von beiden Seiten nicht erkannte Überschuldung der Gesellschaft nicht nach den Regeln der Sachmängelgewährleistung, sondern unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage haften muss. Grund dafür, dass der Weg bis zum BGH geführt hat, ist ein grundlegendes Fehlverständnis in Rechtsprechung und Literatur betreffend den Fall, dass bei einem sog. Share Deal der Käufer am Ende der Transaktion alle Anteile an der Zielgesellschaft hält.

Das Urteil des BGH stellt nun klar, wann im Sinne seiner Rechtsprechung und alleinig im Einklang mit geltendem Recht ein Erwerb des “ganzen“ Unternehmens vorliegt mit der Folge, dass eine Anwendung des Sachmängelgewährleistungsrecht gerechtfertigt ist.

Der Fall: Gesellschafter A erwirbt von Gesellschafter B dessen Anteile und hält als Ergebnis der Transaktion 100 % an der Zielgesellschaft

Der Fall, der zur Beseitigung des Missverständnisses geführt hat, sei nochmals wie folgt zusammengefasst:

A und B waren im Rahmen eines Joint Ventures zu gleichen Teilen Anteilseigner einer GmbH. A erwarb nach der Entscheidung über die Beendigung des Joint Ventures alle Anteile an der GmbH von B mit der Folge, dass A seit der Transaktion alle Anteile allein hält. Im Kaufvertrag vereinbarten die Parteien einen umfassenden Gewährleistungsausschluss. Nach Durchführung der Transaktion stellte sich heraus, dass die GmbH bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses insolvent und somit nicht mehr fähig war, am Markt werbend zu agieren. Daraufhin forderte A von B unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage den gezahlten Kaufpreis zurück, weil – im Grundsatz unstreitig – beide Seiten davon ausgingen, dass die GmbH solvent ist und der Kaufpreis auf Basis einer gemeinsam abgestimmten Wertermittlung bestimmt worden sei. B wendet ein, dass wegen Vorrangigkeit der Sachmängelhaftung eine Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen sei. Eine Haftung wegen eines Sachmangels sei wiederum ausgeschlossen, weil ein umfassender Gewährleistungsausschluss vereinbart sei. Eine Beschaffenheitsvereinbarung sei nicht getroffen worden.

Die Leitsätze des BGH

Die wesentlichen Leitsätze des BGH lauten:

Bei einem Kauf von Mitgliedschaftsrechten an einer GmbH, der als  solcher  ein Rechtskauf gemäß § 453 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist, sind im Fall von Mängeln des von der GmbH betriebenen Unternehmens  die  Gewährleistungsrechte der §§ 434 ff. BGB anzuwenden, wenn Gegenstand des Kaufvertrags der Erwerb sämtlicher oder nahezu sämtlicher Anteile an dem Unternehmen ist und sich der Anteilskauf damit sowohl nach der Vorstellung der Vertragsparteien als auch objektiv bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Kauf des Unternehmens selbst und damit als Sachkauf  darstellt  (Fortführung  von  BGH, Urteile vom 27. Februar 1970 – 1 ZR 103/68, WM 1970, 819  unter II; vom 12. November 1975 – VIII ZR 142/74, BGHZ 65, 246, 248 f., 251; vom 24. November 1982 – VIII ZR 263/81, BGHZ 85, 367, 370; vom  25. März  1998 – VIil ZR 185/96, BGHZ 138, 195, 204; vom 4. April 2001 –  VIII ZR  32/00, NJW 2001, 2163 unter 111; jeweils zu§§ 459 ff. BGB aF).

 Ein solcher Erwerb sämtlicher oder nahezu sämtlicher Anteile an dem Unternehmen liegt nicht vor, wenn ein Käufer, der bereits 50 % der Mitgliedschaftsrechte an einer GmbH hält, weitere 50 % der Geschäftsanteile dieser Gesellschaft hinzuerwirbt.

Die rechtliche Würdigung des BGH

 Der BGH hat wie folgt begründet:

Zum Vorrang des Gewährleistungsrechts beim Anteilskauf

Ein Vorrang des Gewährleistungsrecht insbesondere gegenüber den Regeln zur Störung der Geschäftsgrundlage setzt voraus, dass der maßgebliche Umstand – hier: Überschuldung – überhaupt geeignet ist, Mängelansprüche auszulösen.

Dies sei – so die Analyse des BGH – hier nicht der Fall. „Aufhänger“ der Begründung des BGH ist der zutreffende Hinweis, dass im Falle des Erwerbs von – wie hier – 50 % der Geschäftsanteile an einer GmbH Kaufgegenstand nicht ein Unternehmen ist, sondern nicht mehr und nicht weniger eine 50 %-ige Beteiligung. Im Einzelnen:

Noch zutreffend sei das OLG davon ausgegangen, dass bis Inkrafttreten der Schuldrechtreform die Rechtsprechung im Falle des GmbH-Anteilskaufs, der grundsätzlich Rechtskauf sei, bei Mängeln des von der GmbH betriebenen Unternehmens die Regeln zum Sachkauf dann heranzog, wenn sich

„der Erwerb dieses Rechts sowohl nach der Vorstellung  der  Parteien als auch objektiv als Kauf des Unternehmens selbst und damit bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Sachkauf darstellte (…)“

Ein solcher Fall sei insbesondere dann angenommen worden, wenn Kaufgegenstand sämtliche oder nahezu sämtliche Geschäftsanteile (vgl. BGH-Urteil vom 2. Juni 1980, VIII ZR 64/79) gewesen sind.

Weiter habe das OLG zutreffend angenommen, dass auch nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform die vorgenannten Grundsätze zur Übertragung der Regeln zum Sachkauf auf den Anteilskauf ihre Berechtigung nicht verloren hätten. Der BGH hat dazu ausgeführt:

„Eine Haftung auch für Mängel des Unternehmens selbst ist aber weiterhin sach- und interessengerecht, wenn im Grunde das „gesamte“ Unternehmen verkauft wird, es sich bei dem betreffenden Anteilskauf also faktisch um einen Kauf des „ganzen“ Gesellschaftsvermögens und damit wirtschaftlich betrachtet um einen Sachkauf handelt (vgl. Grunewald, aaO S. 372 f.; BeckOK-BGB/ Faust, aaO). Mithin bleibt es – in Fortführung der dargestellten bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes dabei, dass bei einem Anteilskauf, der als solcher ein Rechtskauf gemäß § 453 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist, im Fall von Mängeln  des Unternehmens die Gewährleistungsrechte der §§ 434 ff. BGB (nur) dann anzuwenden sind, wenn der Käufer sämtliche oder nahezu sämtliche Anteile an einem Unternehmen erwirbt und sich der Anteilskauf damit sowohl nach der Vorstellung der Vertragsparteien als auch objektiv bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Kauf des Unternehmens selbst und damit als Sachkauf darstellt (vgl. hierzu bereits Senatsurteil vom 12. November 1975 – VIII ZR 142/74, aaO S. 248 f., 251 mwN [zu§§ 459 ff. BGB aF] (…).“

 Um ein „ganzes“ Unternehmen handele es sich aber nicht – so der Fehler in den Überlegungen des OLG -, wenn 50 % der Anteile an einem Unternehmen übertragen werden. Richtig an der Auffassung des OLG sei insoweit lediglich, dass es nicht darauf ankommen könne, ob wirklich 100% der Anteile den Kaufgegenstand bildeten. Ausreichend für die Anwendung der Regeln über den Sachkauf sei es auch, wenn

„der Käufer zwar nicht alle Geschäftsanteile erwirbt, die bei dem Verkäufer oder einem Dritten verbleibenden Anteile aber so geringfügig sind, dass sie die Verfügungsbefugnis des Erwerbers über das Unternehmen nicht entscheidend beeinträchtigen, sofern nur der Wille der Vertragspartner auf den Kauf des Unternehmens als Ganzes gerichtet ist (…).“

Ein solcher Fall liegt aber – wie hier – nicht vor, wenn

„der Käufer – wie hier die Klägerin – lediglich einen Anspruch auf Übertragung der Hälfte der Geschäftsanteile hat. Denn unter derartigen Umständen fehlt es nach der Parteivorstellung und der Verkehrsanschauung an einem – gemäß den dargestellten Grundsätzen für die entsprechende Anwendung der Sachmängelhaftung entscheidenden – auf den Erwerb des Unternehmens insgesamt gerichteten Ziel des Vertrags (…).“

 Dass Berufungsgericht habe – so der BGH – „aus den Augen verloren, dass allein maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Mängelgewährleistungsrechts der §§ 434 ff. BGB (…) der jeweilige Kaufgegenstand ist.“

 Der – in verschiedenen Ausprägungen – im Schrifttum seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vertretenen Ansicht, die §§ 434 ff. BGB würden auch für Sachen und sonstige Gegenstände gelten, auf die sich ein Recht beziehe, hat der BGH eine Abfuhr erteilt:

„Diese vornehmlich von wirtschaftlichen Billigkeitserwägungen getragenen Auffassungen übergehen indes, dass der von den Parteien übereinstimmend und im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit bestimmte Kaufgegenstand eben keine Sache, sondern ein Recht ist (vgl. hierzu auch Huber, AcP  202 [2002], 179, 213 f.). Den Verkäufer eines Rechts trifft kraft Gesetzes aber auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (und Entfallen der Vorschrift des § 437 Abs. 1 BGB aF) nach allgemeiner Auffassung (vgl. Staudinger/Beckmann, aaO Rn. 7 f.; BeckOK-BGB/Faust, aaO  Rn.  16  ff.; jeweils mwN) weiterhin nur eine Gewährleistung für den Bestand des Rechts (Verität), nicht aber für die Einbringlichkeit der Forderung (Bonität) und dementsprechend ebenso wenig für die Güte des Gegenstands, auf welchen sich das Recht bezieht. Eine solche Bonitätshaftung besteht vielmehr nur, wenn sie vertraglich besonders übernommen ist (Huber, aaO S. 214, 229 ff.; BeckOK­ BGB/Faust, aaO Rn. 20 ff.; MünchKommBGB/Westermann, aaO Rn. 11; jeweils mwN).“

 Mit Blick auf die mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in Kraft getretene Regelung des § 453 Abs. 1 Alt. 1 BGB, die von Stimmen der Literatur fälschlich dahin gedeutet würde, dass die Regeln über den Sachkauf nunmehr im Ergebnis eben auch im Falle des Rechtskaufs gelten würden, so hat der BGH auch dieser Auffassung eine klare Abfuhr erteilt. Ein Rechtskauf sei nach wie vor etwas anderes als ein Sachkauf. Der BGH hat ausgeführt:

„Weder dem Wort­ laut des Gesetzes noch den Gesetzesmaterialien des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sind aber auch nur Andeutungen zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 453 BGB den Unterschied zwischen dem Kauf eines Rechts und dem Kauf einer Sache, auf welche sich dieses Recht bezieht, aufzuheben beabsichtigte.“

 In diesem Zusammenhang hat der BGH auf einen gern übersehen Umstand hingewiesen, der aus § 453 Abs. 3 BGB folgt. Diese Vorschrift lautet:

§ 453 Abs. 3 BGB:
Ist ein Recht verkauft, das zum Besitz einer Sache berechtigt, so ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu übergeben.

Zurecht folgert der BGH durch einen Umkehrschluss aus dieser Gesetzesregelung, dass die hieraus folgende Haftung für Sach- und Rechtsmängel eben nur bei einem Recht gelten soll, das zum „Besitz einer Sache“ berechtigt. Die Regelung sei überflüssig, wenn diese Haftung allgemein beim Rechtskauf gelten würde.

Nach allem sei vorliegend kein Fall gegeben, der nach den Regeln des Sachmängelgewährleistungsrechts gelöst werden könne.

Kein praktisches Bedürfnis für eine Ausweitung  der Gewährleistung beim Anteilskauf

Der BGH hat weiter zutreffend darauf verwiesen, dass auch keinerlei zwingendes Bedürfnis für eine Ausweitung des (Sachmängel-)Gewährleistungsrechts beim bzw. auf den Anteilskauf bestehe.

Neben der Möglichkeit, entsprechende vertragliche Abreden (z.B. Garantien) zu treffen, stünden die Regeln der culpa in contrahendo sowie der Störung der Geschäftsgrundlage zur Lösung von Anteilskauffällen zur Verfügung.

Schließlich: Ausschluss gesetzlicher Gewährleistungsansprüche steht einer Anwendung des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) nicht grundsätzlich entgegen!

Mit Blick auf die von mir im vorliegenden Verfahren verfolgten Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage hat der BGH schließlich zutreffend und sehr begrüßenswert darauf hingewiesen, dass allein der Umstand, dass die Parteien einen (umfassenden) Gewährleistungsausschluss vereinbart haben, einer Anwendung des § 313 BGB nicht entgegen stehe. Dies gelte  – wie hier – jedenfalls dann, wenn der gegenständliche Anteilskaufvertrag zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und damit zu der Frage, wer die diesbezüglichen Risiken tragen soll, keine Aussagen trifft.

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Meine Bewertung

Der BGH hat in seinem Urteil mit überzeugenden Ausführungen einem rein pragmatischen Ansatz, wonach für die Heranziehung des Sachmängelrechts beim Anteilskauf ausreichend sein solle, dass der Käufer als Ergebnis einer Transaktion (fast) alle Anteile hält, eine Absage erteilt und dabei nicht zuletzt drauf verwiesen, dass ein solcher Ansatz mit geltendem Recht nicht vereinbar sei. Aus meiner Sicht ist aber vor allem anderen ein Aspekt hervorzuheben, auf den die Senatsvorsitzende in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hatte:

In aller Regel passt das Sachmängelgewährleistungsrecht schlichtweg nicht in Fällen, in welchen Kaufgegenstand lediglich Gesellschaftsanteile sind. Dies zeigt beispielhaft gerade auch der vorliegende Fall: Wie soll eine „Nacherfüllung“ , die das Sachmängelrecht primär vorsieht, in Fällen wie hier aussehen? Zudem:

Fälle wie der vorliegende zeigen, dass Rechtsinstitute wie die Störung der Geschäftsgrundlage keineswegs ausgedient haben. Unstreitig und vom OLG auch verbindlich festgestellt, war Geschäftsgrundlage des gegenständlichen Anteilskaufs, dass das Unternehmen, dessen Anteile erworben wurden, solvent ist. Über einen üblichen einfachen Gewährleistungsausschluss lässt sich meines Erachtens das Risiko hinsichtlich dieser Geschäftsgrundlage nicht sach- und interessengerecht zuweisen. Dies ist Sache des § 313 BGB.

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