Anfechtungsmöglichkeiten eines gerichtlich geschlossenen Vergleichs
/in Prozessführung, VertragsrechtLEGAL+ NEWS
Zivilprozesse werden vielfach im Wege eines zwischen den Parteien im Laufe des Verfahrens geschlossenen Vergleichs beendet. Häufig geschieht dies mit Hilfe des Gerichts. Die Praxis zeigt, dass ein solcher Vergleichsschluss, trotz Beteiligung des Gerichts, durchaus Tücken in sich birgt. Nachfolgend möchte ich einen Überblick verschaffen:
Überblick über die Arten des gerichtlichen Vergleichsschlusses
Die Zivilprozessordnung sieht für einen mit Hilfe des Gerichts geschlossenen Vergleich zwei Wege vor:
- Zum einen kann ein Prozessvergleich im Rahmen der mündlichen Verhandlung geschlossen werden. In diesem Fall wird der in der Verhandlung ausgehandelte Vergleich vom Gericht in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen und muss dann von den Parteien bzw. deren Vertretern genehmigt werden. Die Genehmigung ist ebenfalls zu protokollieren.
- Zum anderen kann ein Prozessvergleich auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts schriftsätzlich gegenüber dem Gericht annehmen. Das Gericht stellt dann das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs durch Beschluss fest.
Wirkung des Vergleichsabschlusses
Der auf eine der vorgenannten Wege wirksam geschlossene Vergleich führt grundsätzlich zur Beendigung des Rechtsstreits.
Der BGH hat mit Urteil vom 14.7.2015 (Az. VI ZR 326/14; NJW 2015, 2965) zur rechtlichen Natur und Wirkung eines Prozessvergleichs zusammenfassend ausgeführt:
„(…)
Der Prozessvergleich hat eine rechtliche Doppelnatur. Er ist zum einen Prozesshandlung, durch die der Rechtsstreit beendet wird und deren Wirksamkeit sich nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen bestimmt. Dazu ist er ein privates Rechtsgeschäft, für das die Vorschriften des materiellen Rechts gelten und mit dem die Parteien Ansprüche und Verbindlichkeiten regeln (BGHZ 164, 190 [193 f.] = NJW 2005, 3576 mwN; vgl. auch BGHZ 142, 84 [88] = NJW 1999, 2806; BGHZ 79, 71 [74] = NJW 1981, 823; BGHZ 41, 310 [311] = NJW 1964, 1524; BGHZ 28, 171 [172] = NJW 1958, 1970; BGHZ 16, 388 [390] = NJW 1955, 705; OLG Hamm, NJW-RR 2012, 882). Prozesshandlung und privates Rechtsgeschäft stehen nicht getrennt nebeneinander. Vielmehr sind die prozessualen Wirkungen und die materiell-rechtlichen Vereinbarungen voneinander abhängig (BGHZ 164, 190 [194] = NJW 2005, 3576; BGHZ 79, 71 = NJW 1981, 823). Der Prozessvergleich ist nur wirksam, wenn sowohl die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Vergleich als auch die prozessualen Anforderungen erfüllt sind, die an eine wirksame Prozesshandlung zu stellen sind. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, liegt ein wirksamer Prozessvergleich nicht vor; die prozessbeendigende Wirkung tritt nicht ein (BGHZ 164, 190 = NJW 2005, 3576; vgl. auch BGHZ 16, 388 = NJW 1955, 705). Das gilt auch für den Prozessvergleich iSd § 278 VI ZPO (vgl. BT-Drs. 14/4722, 82; BAGE 120, 251 = NJW 2007, 1831 Rn. 15; OLG Hamm, NJW-RR 2012, 882; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 278 Rn. 79; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 36. Aufl., § 794 Rn. 2 f.).
(…)“
Streit über Wirksamkeit des Vergleiches
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass eine Partei die Wirksamkeit des geschlossenen Vergleichs anzuzweifeln versucht.
Ausgangspunkt ist (siehe vorzitiertes BGH-Urteil) hier, dass der Prozessvergleich doppelter Natur ist mit der Folge, dass sich Unwirksamkeitsgründe auf zwei Ebenen ergeben können. Es sind mithin zwei Arten von denkbaren Mängeln zu unterscheiden:
Ebene 1: Prozessuale Mängel
So ist der Prozessvergleich zum einen ein Prozessvertrag und könnte an prozessualen Mängeln leiden.
Der häufigste Mangel auf dieser Ebene liegt in einer fehlerhaften Protokollierung des Vergleichsinhalts.
Ebene 2: Materielle Mängel
Der Prozessvergleich ist zudem ein „normaler“ materiell-rechtlicher Vertrag zwischen den Parteien, mit dem diese ihre Streitigkeit beenden bzw. regeln wollen.
Auch dieser Vertrag kann an Mängeln leiden, z.B. dergestalt, dass sich eine der Parteien bei Abgabe ihrer den Vergleich ermöglichenden Erklärungen in einem Irrtum befand. Dies würde es ihr unter Umständen ermöglichen, den Vergleich nach §119 BGB wegen Irrtums anzufechten. Auch in Betracht kommt der gesetzlich ausdrückliche geregelte Fall des § 779 BGB (Irrtum über die Vergleichsgrundlage). Ein Anpassungsrecht kann sich ferner auch unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage ergeben (§ 313 BGB)
Prozessuale Folgen einer Vergleichsanfechtung
Macht eine Partei Mängel des Vergleichs gegenüber dem Gericht geltend, führt dies zur Fortsetzung des Verfahrens und zur Prüfung der geltend gemachten Mängel durch das Gericht.
Danach ist zu unterscheiden:
- Wenn das Gericht prozessuale Mängel bejaht, bedeutet dies, dass der Prozessvergleich unwirksam ist. Der Rechtsstreit ist weiter rechtshängig. Eine besondere Situation liegt dann in Fällen, in denen die Parteien zunächst eine materiell wirksame Einigung getroffen hatten und diese Einigung im Anschluss fehlerhaft protokolliert worden ist. Denn die lediglich fehlerhafte Protokollierung beseitigt nicht die zuvor materiell wirksam erfolgte Einigung.
Und auch in sonstigen Fällen eines aus prozessualen Gründen unwirksamen Prozessvergleichs kann es wegen widersprüchlichen Verhaltens gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, wenn eine Partei sich auf den prozessualen Mangel beruft. Dies hat der BGH im bereits oben zitierten Urteil wie folgt angenommen:
(…)
Die Kl. kann sich jedoch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht darauf berufen, dass der vom BerGer. nach § 278 VI 2 ZPO festgestellte Vergleich prozessual nicht wirksam zu Stande gekommen ist.Der Grundsatz von Treu und Glauben findet auch im Prozessrecht Anwendung (…).
Widersprüchliches Verhalten einer Partei (venire contra factum proprium) im Prozess kann rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig sein (…).Rechtsmissbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (…). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann eine Rechtsausübung etwa dann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (…).
- Wenn das Gericht materielle Mängel feststellt, die eine Nichtigkeit des Vergleichs (d.h. anfängliche Unwirksamkeit) zur Folge haben, so ist die Situation so, als hätte es den Vergleich nie gegeben.
Das Verfahren läuft normal weiter, weil der Rechtsstreit tatsächlich nie beendet worden ist.
- In Fällen, in denen der Vergleich zunächst wirksam war und erst durch später eintretende Umstände, z.B. wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage, ex nunc in Frage steht bzw. unwirksam geworden ist, ist die Situation komplexer, weil der Vergleich ja zunächst vergleichsbeendigende Wirkung hatte.
Zutreffenderweise ist dann ein neuer Prozess zu führen, da ein Wideraufleben des alten, zwischenzeitlich wirksam beendeten Prozesses, keine rechtliche Grundlage hat. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass es an Mängeln fehlt, stellt es die prozessbeendigende Wirkung des Vergleichs durch berufungsfähiges Urteil fest.
Wer glaubt, dass durch die Beteiligung des Gerichts ein „saubere“ Vergleichsschluss sichergestellt ist, unterliegt einem Trugschluss!
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