Anerkennung und Vollstreckung von EU-Urteilen in Deutschland

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Anerkennung und Vollstreckung von EU-Urteilen in Deutschland – Ein Leitfaden

Einführung

Mit der Internationalisierung des Geschäftsverkehrs geht einher, dass der Frage, ob und wie ein im Heimatland des Gläubigers ergangenes Urteil im hiervon abweichenden Heimatstaat des Schuldners vollstreckt werden kann, eine hohe praktische Bedeutung zukommt. Denn die leidliche Erfahrung auch des Verfassers dieses Beitrags zeigt, dass viele Schuldner zur freiwilligen Leistung nicht bereit sind.

Nachfolgender Beitrag verschafft einen Überblick, wie ein in der EU in Zivil- und/oder Handelssachen erlassenes Urteil in anderen EU-Mitgliedstaaten – hier am Beispiel Deutschland – vollstreckt werden kann.

Europe

Grundlage: EU-Verordnung 1215/2012 (EUGVVO)

Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen im Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der EU ist in Zivil- und/oder Handelssachen in der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geregelt (bekannt als: „EUGVVO“).

Automatische Anerkennung von in anderen EU-Mitgliedstaaten erlassenen Urteilen nach Artikel 36 EuGVVO

Nach den Artikel 36 Abs. 1 der EuGVVO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen auch in anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.  Artikel 36 Abs. 1 der EUGVVO lautet:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.“

Mögliche Einwände und Prüfung nach Artikel 45 EuGVVO

Allerdings erfolgt auf Antrag der Gegenpartei im Rahmen der Grenzen des Artikel 45 EuGVVO dennoch eine Prüfung bestimmter Anerkennungsvoraussetzungen.

Artikel 45 Abs. 1 EuGVVO lautet:

„Die Anerkennung einer Entscheidung wird auf Antrag eines Berechtigten versagt, wenn

 

  1. a) die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde;

  2. b) dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleich wertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte;

  3. c) die Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist;

  4. d) die Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung im ersuchten Mitgliedstaat erfüllt, oder

  5. e) die Entscheidung unvereinbar ist

  6. i) mit Kapitel II Abschnitte 3, 4 oder 5, sofern der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist, oder

  7. ii) mit Kapitel II Abschnitt 6.“

Demnach darf insbesondere die internationale Entscheidungszuständigkeit nicht überprüft werden. Dies stellt Artikel 45 Abs. 3 S. 1 der EuGVVO klar, wonach die Vorschriften über die Zuständigkeit nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) gehören.

Ziel ist es, dass Entscheidungen eines Mitgliedstaates mit möglichst wenig zusätzlichem Aufwand in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden können.

Die wie gesagt nur auf Antrag erfolgende Prüfung der genannten Anerkennungsvoraussetzungen ist Teil des Vollstreckungsverfahrens (dazu sogleich).

Vollstreckung ohne vorherige Vollstreckbarkeitserklärung

Die bedeutsamste, mit der Neufassung der EuGVVO geschaffene Neuerung im Rechtsverkehr innerhalb der EU ist die Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens.

So ist eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung nach Artikel 39 EuGVVO in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, ohne dass es einer gesonderten Vollstreckbarerklärung bedarf. Ausländische EU-Entscheidungen werden im Hinblick auf ihre Vollstreckung damit im Grundsatz inländischen Entscheidungen gleichgestellt (Art. 41 Abs. 1 EuGVVO, § 794 Abs. 1 Nr. 9 ZPO).

Die Streichung des sog. Exequaturverfahrens zielt auf eine Beschleunigung der Vollstreckung, indem dem Schuldner die Möglichkeit genommen wird, Rechtsbehelfe in diesem Verfahren zur Verschleppung einzusetzen.

 

Berücksichtigungsfähige Vollstreckungsversagungsgründe

Eine Anerkennung und damit eine Vollstreckung kann in den eng auszulegenden Grenzen des Artikel 46 in Verbindung mit Artikel 45 der EuGVVO versagt werden. Allerdings werden die möglichen Versagungsgründe nur auf Antrag des Schuldners nach den Artikeln 46 ff. der EuGVVO als Einwendung geltend zu machen und werden mithin nicht von Amts wegen geprüft.

Als Versagungsgründe kommen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Artikel 46 der EuGVVO nur die in Artikel 45 der EuGVVO genannten Gründe in Betracht. Darüberhinausgehende materiellrechtliche Einwendungen gegen den Titel bleiben nach zutreffender Auffassung außer Betracht.

Zu den möglichen Versagungsgründen im groben Überblick das Folgende:

„Offensichtlicher“ Verstoß gegen Ordre Public, Artikel 45 Abs. 1 a EUGVVO

Artikel 45 Abs. 1 a) der EUGVVO setzt einen „offensichtlichen“ Verstoß gegen den ordre public voraus.

Wie auch bei „normalen“ Drittlandsurteilen, ist dem ersuchten Gericht eine allgemeine Überprüfung des Urteils untersagt (Verbot der sog. révision au fond). Es spielt also für die Anerkennungsfähigkeit insbesondere keine Rolle, ob das Urteil Ergebnis eines ordnungsgemäßen Verfahrens gewesen ergangen ist, und ob das Ursprungsgericht die Tatsachen zutreffend ermittelt und gewürdigt hat.

Es geht bei einem beachtlichen „offensichtlichen“ ordre public Verstoß lediglich um krasse und daher sehr seltene Fälle, in denen aus Sicht des ersuchten Staates eine Anerkennung als geradezu unerträglich erschiene.

Die Grenzen, die hierbei anzulegen sind, ergeben sich grundsätzlich aus dem anerkennungsfreundlichen Europarecht, obwohl der ordre public von Staat zu Staat unterschiedlich ist.

Beachte:

Ausdrücklich (vgl. Art. 45 Abs. 3 S. 2 EuGVVO) nicht unter den ordere public fallen die Vorschriften über die Zuständigkeit. Dies bedeutet, dass selbst ein von einem unzuständigen Gericht erlassenes EU-Urteil in Deutschland vollstreckt werden kann, ohne dass dagegen die mangelnde Zuständigkeit eingewendet werden könnte. Besondere Abwehrmöglichkeiten existierten im Falle einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung gemäß der wenig bekannten Regelung in Artikel Art 31 Abs. 2 EUGVVO. Lesen Sie hierzu meinen gesonderten Beitrag.

Nicht ordnungsgemäße Verfahrenseinleitung, Artikel 45 Abs. 1 b) EUGVVO

Nicht jeder Fehler in der Verfahrenseinleitung begründet ein Anerkennungshindernis.

So führt das Fehlen einer an sich erforderlichen Übersetzung nicht ohne weiteres zur Versagung der Anerkennung. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn der Beklagte im Ausgangsverfahren mit einem dort eingelegten Rechtsmittel geltend gemacht hat bzw. geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht in der gehörigen Form zugeleitet worden war.

Als Faustformel lässt sich festhalten, dass das maßgebliche Kriterium in der Frage liegt, ob dem Beklagten des Erstverfahrens rechtliches Gehör möglich gewesen ist. Im Detail ist zu dieser Frage vieles streitig und bedarf einer Würdigung in jedem Einzelfall.

Unvereinbarkeit mit anderer Entscheidung, Artikel 45 Abs. 1 c) und d) EUGVVO

Artikel 45 Abs. 1 c) und d) der EUGVVO betreffen Fälle, in denen die in Rede stehende Entscheidung mit einer anderen inländischen (lit c) oder mit einer ausländischen, also einer Entscheidung, die entweder in einem anderen als dem „ersuchten“ Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat ergangen ist, unvereinbar ist. Unvereinbar meint, dass die in den Urteilen festgestellten Rechtsfolgen einander ausschließen.

Soweit die vorbeschriebene Konfliktlage gegeben ist, hat eine im ersuchten Staat ergangene Entscheidung stets Vorrang, selbst dann, wenn sie später ergangen ist. Dies kann zur Folge haben, dass eine ausländische Entscheidung vorübergehend Wirkung entfaltet und diese Wirkung dann später ex nunc infolge einer entgegenstehenden inländischen Entscheidung entfällt.

Handelt es sich um eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedsstaat oder einem Drittland, so wird die Konfliktlage über das Prioritätsprinzip aufgelöst. Soweit das Urteil aus dem anderen Mitgliedsstaat oder dem Drittland früher ergangen ist, hat es Vorrang.

Missachtung von Sonderzuständigkeiten, Artikel 45 Abs. 1 e) EUGVVO

Artikel 45 Abs. 1 e) der EUGVVO behandelt schließlich den Verstoß gegen besondere Zuständigkeitsregelungen der EUGVVO, z.B. im Falle von Versicherungssachen und bei Verbraucherangelegenheiten.

Verfahrensablauf

Durch die Abschaffung eines Exequaturverfahrens erfolgt die Prüfung von Vollstreckungsversagungsgründen erst im Vollstreckungsverfahren, Art. 46 ff. EuGVVO.

Das Verfahren setzt einen Antrag des für das Vorliegen von Versagungsgründen auch darlegungs- und beweisbelasteten Schuldners voraus (Art. 46 EuGVVO), der bei den von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 75 lit. a EuGVVO mitgeteilten Gerichten zu stellen ist. In Deutschland sind dies gemäß § 1115 Abs. 1 ZPO ausschließlich die Landgerichte.

Soweit ein Gericht – dies nur auf Antrag – in einem Vollstreckungsverfahren eine Vollstreckung ablehnt, weil nach Auffassung dieses Gerichts ein Grund zur Versagung der Anerkennung vorliegt, so handelt es sich hierbei um eine Inzidententscheidung und hat nur Wirkung für das jeweilige Verfahren. Es ist also möglich, dass ein anderes Gericht des ersuchten Mitgliedsstaates hinsichtlich des identischen Urteils eine andere Auffassung vertritt, was widersprüchliche Entscheidungen innerhalb eines Mitgliedstaates bedeuten würde.

Da dies unbefriedigend wäre, sieht die EUGVVO den Antrag nach Artikel 36 Abs. 2 vor:

„Jeder Berechtigte kann gemäß dem Verfahren nach Abschnitt 3 Unterabschnitt 2 die Feststellung beantragen, dass keiner der in Artikel 45 genannten Gründe für eine Versagung der Anerkennung gegeben ist.“

Ist vom ersuchten Gericht auf Antrag nach Artikel 36 Abs. 2 EUGVVO festgestellt worden, dass der fraglichen Entscheidung kein Anerkennungshindernis entgegensteht, so ist diese Entscheidung im ersuchten Staat und zwischen den Verfahrensbeteiligten rechtskräftig und kann inter partes nicht mehr in Frage gestellt werden. Dies folgt unmittelbar aus dem Unionsrecht, auch wenn die Verordnung selbst hierzu keine Aussage enthält. Gleiches gilt umgekehrt, wenn das Gericht infolge eines solchen Antrags festgestellt hat, dass ein Versagungsgrund vorliegt, Artikel 45 Abs. 4 EUGVVO.

Judge's gavel. Symbol for jurisdiction. Law concept a wooden judges gavel on table in a courtroom

FAZIT

Anders als bei Urteilen aus Drittstaaten sind die Abwehrmöglichkeiten gegenüber Urteilen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten leider gering. Dennoch lohnt es sich selbstverständlich, die dargestellten möglichen Einwendungen genau zu prüfen, um so eventuell einer Vollstreckung entgehen zu können.

 

 

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